: Deine Schwester, die Schimpansin
■ Die weltberühmte Primatenforscherin Jane Goodall zu Gast in Bremen
Deine Schwester, die Schimpansin
Die weltberühmte britische Primatenforscherin Jane Goodall zu Gast in Bremen
Ein Affentheater: die Schimpansin sagt „Hallo“ — verhaltenes, tiefes „huhuhuhuhuh“ — sie kreischt laut und durchdringend vor Ärger, und jetzt bitte einmal Freude: „Oh, you mean laughter?“ Sie lacht. Auf Affenart, versteht sich.
Vor uns im Foyer des „Wissenschaftlichen Instituts für Schulpraxis“ (WIS) sitzt kein Menschenaffe, sondern die britische Verhaltensforscherin Dr. Jane Goodall. Vor 33 Jahren ist sie das erste Mal in Tansania in die Berge geklettert, um Schimpansen zu beobachten — aus der Ferne. Und näherte sich ihnen. Langsam. Ganz langsam. „Nach 18 Monaten konnte ich nah bei ihnen sitzen. Und das tat ich dann, vom Morgengrauen bis zum Dunkelwerden. Den ganzen Tag.“ Zugegeben, manchmal war es auch der passionierten Primatenforscherin langweilig. Aber nur so konnte sie in einer Langzeitstudie das Verhalten der wildlebenden Menschenaffen beobachten.
„Die Schimpansen haben mich etwas über die Philosophie des Lebens gelehrt. Das will ich teilen.“ Und so zieht die vielgerühmte Britin, die erst kürzlich in Japan den „Nobelpreis des Fernen Ostens“ erhielt, durch die Lande. „Was können wir von den Schimpansen lernen?“ fragte sie gestern auf ihrem Vortrag im WIS rund 300 Bremer SchülerInnen. Sie erzählt vom Zusammenleben der Schimpansen, von sozialen Gefügen, von Mutter-Kind-Beziehungen. Sie zeigt Bilder von gerodeten Wäldern, verwaisten Schimpansenbabies und Affen in Käfigen, die der medizinischen Forschung dienen sollen. Zirkusaffen im Primaballerinakostüm. Die Hand eines Gorillas an einem Käfiggitter. Sich selbst in Umarmung mit einem angeketteten Schimpansen.
Jane Goodalls Bilder gehen ans Herz, und doch erzählt sie selbst in einem so ruhigen Ton: Zum Beispiel von dem Schimpansenbaby, dessen Mutter von Jägern getötet wurde und das eine Familie aus Mitleid kauft. Das Baby wird zum Kind der Familie, das mit den anderen Kindern spielt, Fernsehen guckt, mit am Tisch sitzt. Doch der Schimpanse ist nun mal kein Mensch: „Man kann einem Affen nicht ständig sagen 'Laß den Kühlschrank zu', 'Mach dies nicht, mach das nicht'“. Der Schimpanse wird aggressiv und zur Gefahr.
Zu einfach wäre die Schlußfolgerung: Die heutige Umwelt läßt die Menschen nicht „artgerecht“, ihren Bedürfnissen entsprechend aufwachsen. Also werden sie zunehmend aggressiv, besonders die Jugendlichen. Überall, nicht nur in Deutschland. Man müsse sich die Frage stellen,ob es da eine allgemeine Gefahr gibt.Eine Antwort darauf hat die Verhaltensforscherin nicht: „Man kann nur Fragen stellen.“ Eins ist für sie aber klar: „Die entscheidende Frage der westlichen Welt ist das Mutter- Kind-Verhältnis.“ Eine Erkenntnis, die sie aus ihrer Beobachtung der Affen nimmt. Da, sagt sie, habe sie von den Schimpansen „gutes Mutter-Verhalten“ gelernt.
Die Schimpansengruppe im Gombe-Nationalpark Tansania beobachtet sie noch immer — zusammen mit MitarbeiterInnen und StudentInnen.Darüber hinaus hat Jane Goodall ein „Schimpansen-Zoo“-Projekt gestartet, das die Lebensumstände von Affen in den Zoos auf der ganzen Welt verbessern soll. Außerdem arbeitetsie mit diversen Regierungen dieser Welt zusammen, kämpft gegen die Schimpansenjagd und für Reservate und Schutzzonen. Und sie leistet Überzeugungsarbeit vor Ort, „denn wenn Du die Leute in der Umgebung nicht überzeugst, kannst Du das Ganze vergessen.“
Seit zwei Jahren gibt es das Projekt „roots & shoots“, mit dem Jane Goodall vor allem SchülerInnen und LehrerInnen dazu aufruft, sich für den Schutz der Umwelt zusammenzuschließen. „Die Grundidee“, erklärt sie den Bremer SchülerInnen, „beruht darauf, daß viele Leute etwas verändern können. Es wird geschehen, wenn junge Leute wie ihr wollen, daß es geschieht.“ Jedes Individuum zählt, gleich ob Mensch, Tier oder Pflanze. Jeder einzelne sollte sich auf seine Weise, mit seinen Mittelnfür den Erhalt von Leben und Umwelt überlegt und ausdauernd, aber ohne Gewalt und spektakuläre Maßnahmen einsetzen. In Tansania gibt es mittlerweile an jeder weiterführenden Schule „roots & shoots“-Clubs, in denen die SchülerInnen Strände säubern, Bäume pflanzen und botanische Gärten restaurieren. Jane Goodalls Botschaft auch an die SchülerInnen in Deutschland: „Es ist nicht zu spät — you make the difference.“ skai
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