Diäten und Pfründe

■ Kandidaten-Kür in Hamburgs Parteien: Demokratie und Kompetenz spielen kaum eine Rolle  Von Florian Marten

ie Wahlen zur Bürgerschaft und im Senat sind längst in vollem Gang. Fast täglich fallen wichtige Entscheidungen. Am Drücker sind die Parteien. Sie kauen vor, was das Wahlvolk im September schlucken wird: Die Kandidatenlisten für die Hamburger Bürgerschaft. Von rund einer Million HamburgerInnen, welche die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur mitbringen, sind dann noch rund 200 übriggeblieben, die echte Chancen auf eines der 121 Bürgerschaftsmandate haben.

Mindestens 80 dieser 200 können praktisch ihre Bürgerschaftsbüros schon heute mieten - die ersten Listenplätze von SPD, CDU und GAL sind so sicher wie ein unterzeichneter Vorvertrag bei einem renommierten Konzern der Privatwirtschaft. Auch der künftige Bürgermeister ist bereits gewählt. Er heißt Henning Voscherau, egal ob er die Wahl verliert oder gewinnt. Allenfalls bei einem Absturz unter 40 Prozent muß Notar Voscherau fürchten, daß einige versuchen werden, seinen Vorvertrag zu annullieren.

Das Wahlvolk entscheidet bei der Wahl im September nur, ob und welche Reps, FDPler, CDU-, SPD- und GAL-Hinterbänkler die Diätenberechtigung erwerben. Auch bei der späteren Wahl der Regierung bleibt das Volk außen vor. Das Gerangel um Senats- und Staatsratsposten ist bei SPD und GAL bereits in vollem Gange. No entry: Über Regierung und Parlament entscheidet nach unserer Verfassung eben nicht das Volk, sondern - die Parteien. Sie tun dies mit Methoden, die schon auf dem Parteisatzungspapier nicht den Mindestregeln unserer Verfassung entsprechen (die CDU bekam dies bescheinigt, die bislang nicht beklagte SPD änderte jetzt vorsichtshalber ihre Satzung).

Noch düsterer die Praxis. In der SPD entscheiden von den noch 20 000 Mitgliedern vielleicht gerade 3000 wenigstens formal mit. Die eigentlichen Entscheidungen trifft der innere Kreis von rund 200 bis 300 Leuten, angeleitet dabei wiederum von einer SPD-Machtelite, die aus etwa 20 Leuten besteht. Bei der CDU ist das kein bißchen anders - nur die Zahl der aktiven Mitentscheider ist erheblich geringer.

Vergleichsweise vorbildlich gab sich am vergangenen Wochenende die GAL. Hier entschieden tatsächlich die Mitglieder, hier gab es tatsächlich Kampfabstimmungen, Wahlen nach Qualität und politischer Überzeugung. Jedoch: Auch die 350 TeilnehmerInnen der GAL repräsentieren nicht einmal 20 Prozent der Mitgliedschaft. Auch bei der GAL steuerten die einzelnen Machtzentren gut 200 der anwesenden Stimmberechtigten, die den Vorgaben ihrer EintänzerInnen meist mit äußerster Präzision folgten. Der innere Machtkreis der GAL, mit 20 bis 30 Leuten immerhin ebenso groß wie der der SPD, legte auch fest, wer auf welchem Listenplatz gegeneinander antreten durfte. Den 100 000 bis 150 000 Hamburger Grün-WählerInnen im September bleibt keine Wahl. Sie müssen sich auf die Qualität dieses Auswahlmechanismus verlassen.

Mühsamer Aufstieg

Wer sich diesen Auswahlmechanismus in den verschiedenen Parteien anguckt, findet statt Qualität oder Kompetenz ganz andere Auswahlkriterien. Mit gutem Grund: Die inneren Machtzirkel der Parteien eint die Erfahrung eines mühevollen Aufstiegs. Da die Zahl berufspolitischer Jobs gering ist, vergibt dieser innere Machtzirkel die Jobs meist unter sich. Entscheidend für politische Ämter ist der Eintritt in den inneren Machtzirkel. Das kann schon mal per Kompetenz und Engagement klappen. Oft jedoch ist das Gegenteil der Fall: Eindringlinge werden vorzeitig abgeblockt, um die Pfründenbalance der Machtelite nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hauptzutrittsverfahren ist das der Kooptierung: Wenn eine KandidatIn reinwill, muß sie lediglich gewisse Mindestvoraussetzungen mitbringen (Lesen, Schreiben, ruckelfreie Formulierung deutscher Hauptsätze), ansonsten entscheidet, ob sie dem Machtzirkel gefällt.

Bei der GAL ist das alles noch ein bißchen komplizierter: Sie ist vergleichsweise demokratischer, offener und transparenter. Menschen mit Lust auf Politik und überdurchschnittlichen Fähigkeiten haben hier tatsächlich die Chance, binnen kürzester Zeit auf wichtige Positionen vorzustoßen. Genau solche Leute aber schreckt die Offenheit der GAL. Sie wissen, daß hier politische Jobs auch ganz schnell wiederverschwinden können, politische Lebensplanung kaum möglich ist, da der innere Machtzirkel nicht jene Stabilität und Macht aufweist, wie in anderen Parteien. Kurz: Während die GAL gute Leute durch mangelnde Stabilität des Filzes abstößt, hält der Filz des Mittelmaßes in denFührungsspitzen von CDU und SPD gute Leute ab, sich deren knechtischen Karrierespielregeln zu unterwerfen.Die wenigen klarsichtigen Führungsleute in CDU und SPD räumen in Vier-Augen-Gesprächen denn auch unumwunden ein, daß die Qualität ihrer Berufspolitiker-Crews erschreckend niedrig ist. Wer in Hamburg Berufspolitiker werden will, steht vor einer erschreckenden Alternative: Soll er sich dem mediokren Filz von CDU und SPD andienen und bei Annahme persönlicheitsverbiegende Zugeständnisse an die Filzspielregeln machen? Oder soll er sich den populistischen Bauchblähungen oft recht beliebig zusammengesetzter GAL-Mitgliederversammlungen aussetzen?

Das Dilemma ist auch in einem taz-Artikel nicht aufzulösen: Politik verlangt heute Kompetenz, Kreativität und Kontinuität, politische Ausstrahlung und fachlich-handwerkliche Qualitäten. Es reicht nicht mehr aus, die Rhetorik einer bestimmten politischen Richtung wähler- und parteivolkwirksam rüberzubringen. Gute Politik läßt sich heute nicht mehr ehrenamtlich von Amateuren gestalten. Unser politisches System bietet aber keine ausreichende Zahl von Profijobs, an die man in einem transparenten und demokratischen Verfahren herankommt. Zudem hat heute schon die Personalabteilung eines kleineren Unternehmens, ja selbst eine taz-Stellenbesetzungscombo, ein klareres Anspruchsprofil an eine Stellenbesetzung als unsere politischen Parteien. „Personalentwicklungsplanung“, in der Wirtschaft heute ein Top-Thema, ist in den Parteien total unterbelichtet. Qualifizierung, Ausbildung, professionelle Standards, Erfolgskontrolle von geleisteter Arbeit. In der Politik: Fehlanzeige! Kurz: Gute Leute kommen nicht in die Politik rein, und die Politik tut nichts dazu, Leute gut zu machen, ja, sie weiß nicht einmal, worin ihre Profis gut sein sollen. Und der alte Darwinismus unseres politischen Systems, Motto: „Wer irgendwie nach oben durchkommt, ist auch irgendwie gut“, funktioniert schon lange nicht mehr.

Kurz: Die Auswahl des Führungspersonals des Stadtstaats Hamburg ist von der WählerIn kaum beeinflußbar. Sie liegt in der Hand von Parteien, die sich bei dieser Auswahl Methoden bedienen, die nicht einmal den Standards von Personalabteilungen kleiner Unternehmen entsprechen.