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Ampel rettet sich in den Herbst

■ Nach dem Mißtrauensvotum: politische Nachbeben, bedröppelte Mienen

Bedröppelte Minen gestern abend bei den Sozialdemokraten in der Krisenrunde der Koalition. Gute eineinhalb Stunden saßen die Spitzen der Koalitions-Fraktionen und -Parteien zusammen, um die Scherben des Tages zusammenzukehren und vielleicht noch das eine oder andere Teil wieder zusammenzukitten.

Doch so sehr die politischen Köpfe auch rauchten, viel mehr als vorerst abzuwarten und die Nagelprobe der Koalition in den Haushaltsberatungen im Herbst zu suchen, fiel den Koalitionären nicht ein. So stand am Ende eine blutleere Erklärung aus der Feder des Grünen-Vorständlers Arendt Hindriksen, des SPD-Vorsitzenden Konrad Kunick und dem FDP-Vize-Vorständler Axel Adamietz. „Im additiven Verfahren“ sei die Erklärung zustandegekommen, und das soll heißen: Jeder konnte das reinschreiben, was er gerne drinhaben wollte. „Die Koalitionäre sehen ihre eigene Vertrauensbasis beeinträchtigt“, steht da. Und es wird angekündigt, daß „nach Abschluß der Beratungen auf Halbzeitparteitagen Vereinbarungen über die zweite Hälfte der Legislaturperiode“ getroffen werden sollten. Von einem vorgezogenen Parteitag oder Neuwahlen, wie sie gestern noch von den Grünen ins Gespräch gebracht worden waren, war nicht mehr die Rede.

Am Rande der Bürgerschaftssitzung ging gestern die Suche nach den Heckenschützen weiter. Manche SPD-Abgeordnete schwörten mehrfach Stein und Bein in vorgehaltene Kameras und Mikrofone, daß sie in Treue fest mit der Koalition gestimmt hätten. „Bei mir hat sich auch keiner gemeldet“, erzählte Parteichef Konrad Kunick. Umso mehr schießen die Spekulationen ins Kraut, die allerdings nach genaueren Nachfragen selten bis nie von mehreren bestätigt werden. So kam aus den Reihen der CDU die Information, drei der vier Enthaltungen seien von der DVU gekommen. Die allerdings dementiert heftig. Hans-Otto Weidenbach: „Wir haben wie angekündigt mit der CDU gestimmt.“

Bei den Christdemokraten herrschte gestern trotz des vermeintlichen Sieges nicht weniger Ratlosigkeit als am Vortag. Auf die Frage, wie es denn nun mit dem Marsch auf die große Koalition weitergehen soll, kommt bei allen Befragten ein monotones „jetzt wollen wir erstmal abwarten, was sich in der Koalition tut“. Und schon die Debatteneröffnung war nicht dazu angetan, den SozialdemokratInnen verlockende Angebote zu offerieren: Der christdemokratische Abgeordnete Klaus Bürger schoß eine bildungspolitische Schimpfkanonade auf die SPD ab, als sei von einer großen Koalition nie im Leben die Rede gewesen.

Unterdessen wurde allerorten spekuliert, welche Motive hinter den sozialdemokratischen Querschüssen gesteckt haben mögen. Konrad Kunick bestreitet jede Organisation der Abweichler: „Das waren viele Unzufriedenheiten. Frustrationen gab es ja genügend.“ Ansonsten sei die Diskussion über eine große Koalition vorbei. Und zu den Abweichlern: „Wir sind hier nicht bei der KPdSU, wo Minderheiten entscheiden.“ Dagegen stehen allerdings die Vorahnungen anderer SPD-Abgeordneter, die schon vor der Abstimmung den Grünen signalisiert hatten, sie sollten nicht die Nerven verlieren. Es könnte knapp werden. Kaum jemand will daran glauben, daß es bei so vielen Gegenstimmen keine Absprachen gegeben hätte.

Manchen Sozialdemokraten alter Schule war die Erschütterung noch gestern anzumerken: Karl- Heinz Schreiber, Sprecher der Baudeputation, dachte öffentlich über seinen eigenen Rücktritt nach. Er müsse sich schon überlegen, ob er mit solchen „Heuchlern“ noch zusammenarbeiten könne. „Ich hab' heute nacht nicht geschlafen.“ Jochen Grabler

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