Desinteresse, Mitleidstourismus?

■ Multikulti-Senatorin Trüpel sprach in Gröpelingen mit TürkInnen

„Es ist schwierig, sich als Politikerin nach Mölln und Solingen richtig zu verhalten. Wenn man nicht zu den Menschen geht, wird es als Desinteresse gewertet, wenn man kommt, gilt es als Mitleidstourismus.“

Helga Trüpel, Senatorin für Ausländerintegration, wollte gestern in Gröpelingen „Mitgefühl zeigen und sich vor Ort informieren.“ Im Gespräch mit dem Vorstand der Mevlana-Moschee und einer türkischen Familie wollte sie auch die „Sprachlosigkeit nach Solingen“ durchbrechen: „Viele Deutsche schämen sich, aber sie sind unfähig, ihre ausländischen Mitbürger anzusprechen.“

Große Angst und Beunruhigung habe sie bei ihren Gesprächen mit TürkInnen gespürt, berichtete Trüpel. „Die Menschen haben Alpträume von brennenden Häusern, und sie haben Angst zur Arbeit zu gehen.“ Viele Familien würden sich mit Feuerlöschern ausstatten und Strickleitern bereitlegen. „Es ist ein bedrohliches Gefühl für uns Deutsche, daß Ausländer in Deutschland so fühlen müssen.“

Die Probleme Gröpelingens, wo 15 Prozent der Bevölkerung nicht in Deutschland geboren sind, liegen nicht bei den Ausländern, stellten die Pastoren Peter Bick und Heinrich Kahlert von der Evangelischen Gemeinde in Gröpelingen fest. Der Stadtteil sei die „soziale Abstellkammer Bremens“, so Bick. „Gröpelingen schluckt die Probleme und wird dann für seine Selbstheilungskräfte gelobt.“ Doch die Probleme mit Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Verelendung in der deutschen Bevölkerung hätten ein Maß erreicht, wo AusländerInnen schnell zu Sündenböcken gemacht würden. „Wenn dann jemand wie der CDU-Mann Ralf Borttscheller die türkischen Kulturvereine diffamiert, dann meint vielleicht ein anderer, er tut das Richtige, wenn er einen Brandsatz wirft. Aber dann haben wir hier 500 türkische Jugendliche, die mit Gewalt zurückschlagen.“

Wenn man die Politik Gröpelingen weiterhin links liegenlasse, werde sich der Stadtteil bei den nächsten Wahlen nach „rechts von der CDU“ bewegen, meinte Bick. „Die Frage ist, wie Politik die Menschen hier noch erreichen kann“, meinte Trüpel. Viele türkische Gesprächspartner hätten mehr Begegnungen mit Deutschen angemahnt, das wolle sie fördern.

Die Klagen der Pastoren über die Flucht junger Familien aus Gröpelingen, über die Aufgabe von Geschäften, über die Ängste vor dem Asylschiff und über „das Gefühl, der Stadtteil sinkt immer weiter unter Wasser“, fanden bei Trüpel Gehör. Doch sie ist Senatorin für Kultur und Ausländerintegration. „Wann war denn der Finanzsenator das letzte Mal in Gröpelingen?“ Keine Antwort. Bernhard Pötter