: „Man muß eine Sache verstanden haben, bevor man über sie lachen kann“
■ Jeff Hagedorn brachte 1983 als erster das Thema Aids auf eine Theaterbühne: Mit dem Autor von „Crusaders“ sprach Gerd Hartmann
Jeff Hagedorn, 36, ist einer der profiliertesten und meistgespielten schwulen Theaterautoren in den USA. Er schrieb über 40 Stücke, davon wurden 21 – zum größten Teil mehrmals – inszeniert. Sein Monolog „One“ brachte 1983 erstmals das Thema Aids auf die Bühne. In Europa wurden bisher nur zwei seiner Stücke aufgeführt: „Clowns in the kitchen“ und „Crusaders“, beide von der Berliner Off-Theater- Gruppe „Stücke für die Großstadt“.
taz: In „Clowns in the kitchen“ behandeln Sie ein aktuelles Thema – Gewalt gegen Schwule – sehr ernsthaft, in „Crusaders“ verarbeiten Sie eine tödliche Krankheit zu einer Farce. Sind die Zeiten ernsthafter Auseinandersetzung mit Aids vorbei?
Jeff Hagedorn: Es kommt darauf an, auf welche Weise man ernsthaft ist. Ich glaube nicht, daß es noch wichtig ist, der Krankheit ein menschliches Gesicht zu geben. Das haben bereits die Zeitungen und die frühen Stücke zum Thema getan. Tatsache ist, daß nicht alles deprimierend ist. Das Leben ist nicht unbedingt immer traurig, genausowenig wie der Tod.
Die Zeit ist reif, über andere Dinge als nur die Krankheit an sich zu schreiben. Eine ganze Reihe dieser Themen ist politisch. Und viele dieser politischen Situationen sind leichter verständlich, wenn man über sie lachen kann. Hätte ich „Crusaders“ als ernstes Drama angelegt, wäre es didaktisch und dumm geworden. Weinen kann man auch, ohne zu verstehen, aber man muß eine Sache verstanden haben, bevor man darüber lachen kann.
Aids-Stücke werden mit Starbesetzung am Broadway gespielt, „Angels in America“ gewann sogar kürzlich einen Tony. Andererseits ist auch in den USA die Krankheit bis jetzt nicht in dem Maße aus den sogenannten Risikogruppen ausgebrochen wie prophezeit. Woher kommt dieses immense Interesse seitens eines „normalen“ Publikums?
In Amerika haben Aids-Stücke von vornherein ein garantiertes Zuschauerpotential. Die Zeitungen schreiben immer darüber, was bei anderen Stücken nicht unbedingt der Fall ist. Außerdem kaufen lokale Aids-Projekte meist ein paar Abende für eine Benefizveranstaltung. Es sind also hauptsächlich marktwirtschaftliche Gründe für die Theater.
Das begründet aber noch keinen Tony-Award.
Schwule Autoren schreiben momentan die besten Stücke. Ihre Themen sind – aufgrund der eigenen Erfahrung – Leben und Tod, und das sind schließlich die wichtigsten. Deshalb dominieren wir das Theater und übernehmen die Literatur.
Und dann ist da ja noch der Zusammenhang mit Sex...
Genau. Daran ist jeder interessiert. Früher drehten sich schwule Stücke nur um das Coming-out. Wen interessierte das schon, es war nur so eine Art Masturbations- Theater. Mit Aids mußte man dann plötzlich über den Wert und den Sinn des Lebens nachdenken. Sex wurde zu einem „gefährlichen Element“.
Das normale Publikum kommt also nicht wegen des Themas, sondern wegen des Thrills?
Manchmal. Und wegen der Aussage. Eine normale Ehekomödie enthält nicht mehr als diesen einen kleinen Konflikt. Bei einer Aids-Komödie liegt bei aller Leichtigkeit eine Message darunter. Das macht sie wichtiger.
Hat diese immense Anzahl an Aids-Stücken die Einstellung gegenüber Schwulen verändert?
Ohne diese Stücke, Filme und die vielen Zeitungsartikel wäre eine ernsthafte Debatte über Schwule in der Armee, wie sie zur Zeit stattfindet, unmöglich. Theater war in Amerika seit 50 Jahren nicht mehr so wirkungsvoll wie heute. Die Berichterstattung in der Presse spielt dabei natürlich eine entscheidende Rolle. Es ist ganz erstaunlich, wie ein Medium wie Theater, das ja relativ wenige Leute direkt erreicht, solche Veränderungen hervorbringen konnte.
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