: ÖTV empfiehlt Hamburg rot-grüne Politik
■ Hamburgs größte Gewerkschaft legt Wahlempfehlung vor / Deutliche Kritik an der Senatspolitik
„Hamburg braucht eine Regierung, die trotz schwieriger ökonomischer Rahmenbedingungen die Zukunft der Stadt durch eine soziale und ökologische Reformpolitik sichert.“ Mit einer einstimmig verabschiedeten und eindeutig auf Rot-Grün zielenden Wahl-Resolution mischte sich Hamburgs ÖTV am Wochenende massiv in den Wahlkampf ein. Beigepackt ist eine umfangreiche „Dissensliste“, eine „ungeschminkte“ Kritik der Senatspolitik,
Der ÖTV-Bezirksvorstand, kürzlich noch vom Sozialdemokraten Paul Busse per Brief aufgefordert, ÖTV-Chef Fritsch wegen dessen öffentlicher Rot-Grün-Sympathien „den Mund zu stopfen“, hielt mit der Antwort nicht hinter dem Berg: „Die SPD strebt erneut die absolute Mehrheit an.“ Vor dem Hintergrund der ungelösten politischen Probleme sei dies ein „zweifellos ehrgeiziges Wahlziel.“
Stellvertretend für ihre 72.000 Mitglieder, immerhin 6 Prozent der Hamburger Wähler, prüfte am Wochenende die ÖTV. Ihr Urteil fiel nicht schmeichelhaft aus: In der Frauen-, Verkehrs-, Abfallwirtschafts-, Gesundheits-, Sozial-, Verwaltungsreform-, Tarif- und Personalpolitik sieht die ÖTV große und schwerwiegende Defizite. Eine „soziale und ökologische Reformpolitik“, so macht das 13seitige „Dissenspapier“ deutlich, bedarf auch einer Reform der Senatspolitik. CDU und FDP scheiden als Reformhelfer jedoch laut ÖTV von vorneherein aus: „Die Systemveränderer von rechts, die Konservativen und Liberalen, setzen die Axt an die Wurzeln des Sozialstaates. Wir erleben gegenwärtig eine ordnungspolitisch reaktionäre, eine sozial unbarmherzige und finanzpolitisch konfuse Bundesregierung.“ Die ÖTV folgert, „es könnte den BürgerInnen wohl kaum vermittelt werden“, wenn die SPD, „ihre politischen Ziele mit Konservativen und Liberalen verwirklichen will.“ Bleiben die Grünen. Ihnen wird Regierungsfähigkeit attestiert, das alte Bild von innerer Zerrissenheit und mangelhafter Zuverlässigkeit“ bedürfe einer „grundsätzlichen Korrektur“. Grüne Wahlkampfplattform und grüne KanditatInnen böten „die Möglichkeit für einen ernsthaften Diskurs um politische Positionen und inhaltliche Fragen.“ In ihrer neuen „ungeschminkten“ Art verwies die ÖTV aber auch auf ihren einzigen wichtigen Dissens mit den Grünen: „Elbvertiefung und Hafenerweiterung sind für sie unverzichtbar.“
Die Resolution ist eine kleine politische Sensation. Erstmals ist eine Großgewerkschaft aus dem Wahlkampfschulterschluß mit der SPD ausgebrochen. Auch in anderen Gewerkschaften wachsen die Zweifel, ob die politische Filzheirat mit der SPD noch zeitgemäß ist. verstärkt. Florian Marten
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