: Riesenspaß in der neuen Fußballwelt
Durch einen 2:1-Sieg gegen England holten sich die deutschen Fußballer den US-Cup, und ein lässig Kaugummi kauender Bundestrainer hat wieder Freude an seinem Beruf ■ Aus Detroit Thomas Samboll
Das hatte es in der nunmehr 85jährigen Länderspielgeschichte des deutschen Fußballbundes noch nicht gegeben: Während Bundestrainer Berti Vogts vor der versammelten internationalen Presse seine Bilanz des soeben beendeten US-Cups zog, wälzte er zwischen seinen Zähnen genüßlich einen riesigen Kaugummi. Der selige Sepp Herberger hätte sich bei diesem Anblick wahrscheinlich im Grabe umgedreht, und Helmut Schön wäre die Mütze ganz tief ins Gesicht gerutscht.
Fußballerisch scheint Berti Vogts allerdings mit dem von ihm vorgeführten American way of life auf dem besten Wege zu sein. Nach dem Gewinn der US-Cups mit Siegen gegen England und die USA sowie dem Unentschieden gegen Brasilien wird das DFB-Team bei den Londoner Buchmachern nämlich bereits als 3:1-WM-Favorit gehandelt. Bis auf die verschlafene erste Halbzeit beim Brasilien-Spiel am kritischen dritten Tag der USA-Reise hinterließ die DFB- Auswahl in Amerika insgesamt einen guten Eindruck. „Ich bin mit dem jetzigen Stand der Vorbereitung hochzufrieden“, resümierte Vogts denn auch nach dem abschließenden Erfolg gegen den Erzrivalen England. „Bis zur WM müssen wir nun nur noch an den Feinheiten arbeiten.“
Diese „Feinheiten“ betreffen vor allem die Abwehr. Denn während Riedle und Klinsmann vorne im Sturm so manches Sahnestückchen boten und insgesamt sieben von neun Toren erzielten, hatte die Verteidigung nach dem Ausfall von Olaf Thon und Jürgen Kohler des öfteren die Qualität eines Fast- Food-Sandwiches. Doch selbst hier deutete sich im England- Match mit Thomas Helmer auf der Liberoposition eine merkliche Verbesserung an.
Nicht mehr zu verbessern ist aber wohl die Stimmung im Team, die die vor allem wetterbedingten Strapazen der letzten Tage mit warm-feuchter Luft in Washington und Detroit vergessen ließ. „Es war toll, mit dieser Mannschaft unterwegs gewesen zu sein“, befand denn auch Jürgen Klinsmann, „anders als auf der Südamerika-Reise oder bei der EM in Schweden hat sich diesmal vor allem im zwischenmenschlichen Bereich eine Menge abgespielt.“ Und auch der überragende Neuling Christian Ziege fühlte sich auf Anhieb wohl im Kreis der Nationalkicker: „Diese zwei Wochen in den USA haben einen Riesenspaß gemacht, weil es im gesamten Team wirklich sehr locker zuging“, meinte Ziege, dessen Stern im Land der Stars und Stripes aufgegangen ist.
Berti Vogts jedenfalls war von der Darbietung des Bayern- Youngsters nachhaltig beeindruckt: „Wenn Christian so weitermacht wie hier beim US-Cup, dann hat er einen Stammplatz bei mir sicher“, legte sich Berti fest. Ansonsten jedoch wollte sich Vogts zumindest über die Gewinner dieser Reise nicht speziell äußern. „Zu den Gewinnern zählen sicherlich alle, die dabei waren“, meinte der Coach. „Die Mannschaft hat nach der anstrengenden Saison hier noch einmal hochkonzentriert gearbeitet.“ Auch das Verhalten der Spieler in der Freizeit habe ihn sehr beeindruckt, stellte der Bundestrainer, der die „lange Leine“ bevorzugte, in Anspielung auf manche Exzesse unter seinen Vorgängern zufrieden fest. So habe man zum Beispiel abends gemeinsam vor dem Fernseher gesessen und mit entsprechenden Shirts und Mützen ausgestattet das vierte Play-Off-Basketball-Endspiel zwischen den Phoenix Suns und den Chicago Bulls verfolgt. „Die einzigen Verlierer“, so der Bundes- Berti, „waren deshalb die, die bei diesem Spiel auf den Verlierer Phoenix gesetzt haben.“ Vogts selber hatte dabei 100 Dollar verloren. Auch dies war eine der zahlreichen wichtigen Erfahrungen, die sich der Trainer von der Reise in die noch weitgehend unbekannte neue Fußballwelt erhoffte.
Tatsächlich war es für viele Spieler der erste Trip in die Staaten überhaupt. „Unsere Kicker kennen alle Ecken und Winkel in der klassischen Fußballwelt“, stellte DFB-Pressesprecher Wolfgang Niersbach fest, „doch die Atmosphäre in den nordamerikanischen Stadien war eine völlig neue Erfahrung für sie.“ Die ungeheure Geräuschkulisse im engen Oval des Robert F. Kennedy-Stadions in Washington, die Picknick-Stimmung in Chicago und die Nähe zu den Fans im atemberaubenden Silverdome von Pontiac war für so manchen abgebrühten Bundesliga-Profi ein beeindruckendes Erlebnis.
Auch das Verhalten der hiesigen Medien war neu für sie. So mußte etwa der titelblatterfahrene Monaco-Star Jürgen Klinsmann vor einem Interview mit dem US- Fernsehen erst einmal seinen Namen aufschreiben. Und während sich die Gazetten in Europa häufig seitenweise über jedes Wehwehchen der Stars auslassen, mußten diese hier manchmal mit einer kleinen Randnotiz über ihren Auftritt auf der letzten Seite des Sportteils der Lokalzeitung zufrieden sein.
Doch die Soccer-Revolution in Amerika könnte unmittelbar bevorstehen. Die Live-Übertragung der Partie USA - Deutschland am vorvergangenen Sonntag im amerikanischen Fernsehen war nach Meinung von WM-Chef-Organisator Alan Rothenberg ein wichtiger Wendepunkt. Niemals zuvor hatte es so etwas auf amerikanischen Mattscheiben, den flimmernden Heiligtümern der Yankees, bisher gegeben. Niemals zuvor hatte man bisher während eines sportlichen Ereignisses auf Werbeunterbrechungen verzichtet, eine Neuerung, die die Nation in ihren kulturellen Grundfesten erschüttern könnte. Etwa 2,6 Mio. Fans verfolgten das Spiel in Chicago, eine Quote, die die Erwartungen bei weitem übertroffen hat. Zwar fällt sie im Vergleich zu den 15,8 Mio. Zuschauern, die derzeit im Durchschnitt die Basketball-Play-Offs verfolgen, noch relativ bescheiden aus. „Doch wenn wir weiterhin so interessante und torreiche Spiele mit spektakulären Szenen wie bei diesem US-Cup '93 bieten können, wird der Fußball in den Staaten nach der Pleite in den achtziger Jahren bald einen neuen Boom erleben“, meint Rothenberg, der für 1995 die Einführung einer Profi- Liga mit 12 Klubs plant.
Insofern haben die Engländer, Brasilianer, die US-Boys und auch Bertis Buben mit ihren Vorstellungen in den fünf Stadien des US- Cups '93 genau ein Jahr vor der WM an gleicher Stelle das runde Leder in den Staaten wieder ins Rollen gebracht. Damit könnte dann auch schon bald die Idee eines BBC-Reporters, der durch eine kleine Regeländerung die Amerikaner für den Fußball gewinnen will, verworfen werden. Sein Vorschlag: Den Torwart aus dem Spiel nehmen, die Tore abbauen und – durch Basketballkörbe ersetzen....
England: Martyn - Barrett, Pallister (53. Keown), Walker - Sinton, Ince, Platt, Clough (70. Wright), Sharpe (46. Winterburn) - Merson, Barnes
Zuschauer: 62.126; Tore: 1:0 Effenberg (26.), 1:1 Platt (31.), 2:1 Klinsmann (53.)
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