piwik no script img

„Ich stand unter lauter Weißen“

■ VertreterInnen ethnischer Minderheiten in Europa organisieren Alternativ-Gipfel in Kopenhagen / Richtlinie gegen Diskriminierung vorgelegt

Kopenhagen (taz) – Bernie Grant ist dienstlich unterwegs. Der Labour-Abgeordnete im britischen Unterhaus will in Kopenhagen als Redner an einer Tagung teilnehmen. Am Flughafen geht er zu der Kontrollstelle für BürgerInnen aus EG-Mitgliedsländern, wo ein dänischer Beamter die Einreisenden mit einer lässigen Handbewegung weiterwinkt. Die Pässe will er nicht sehen. Als die Reihe an Bernie Grant kommt, gerät die Abfertigung ins Stocken. „Ihren Paß bitte“, sagt der dänische Beamte.

„Ich stand unter lauter Weißen“, berichtet der schwarze Brite Stunden später in einem Saal des dänischen Reichstagsgebäudes. Seine ZuhörerInnen kennen die beschriebene Situation zur Genüge. Als Angehörige ethnischer Minderheiten in EG-Europa sind sie ständig mit dem kleineren oder größeren Rassismus konfrontiert. Im Vergleich zu vielen von ihnen ist Bernie Grant sogar noch gut dran. Da er über einen britischen Paß verfügt, genießt er — auf dem Papier zumindest — die volle Freizügigkeit eines EG-Bürgers.

Die meisten Immigranten in EG-Europa müssen als „Ausländer“ ein Visum für grenzüberschreitende Reisen beantragen — auch dann, wenn sie selbst in der EG geboren sind. Diese Hürde sorgte auch dafür, daß mehrere Teilnehmer dem „Alternativen Gipfel der ethnischen Minderheiten“ in Kopenhagen fernbleiben mußten: Sie hatten kein Visum bekommen.

„Willkommen im Königreich Dänemark“, sagte Gastgeber Joseph Obeng zu denjenigen, die am vergangenen Freitag dennoch gekommen waren. Vergeblich hatte der Vorsitzende von IND-Sam, einem Zusammenschluß ethnischer Minderheiten in Dänemark, den Innenminister als Eröffnungsredner zu dem „Alternativen Gipfel“ eingeladen.

So blieben die VertreterInnen des „Dreizehnten Mitgliedslandes“ wieder einmal unter sich — unterstützt von einigen engagierten Mitgliedern des Europaparlamentes, Anti-Rassismus-Gruppen und einer dänischen Abgeordneten. Zwar leben zwischen acht und zwölf Millionen ImmigrantInnen ohne europäische Pässe in der EG – das sind mehr Menschen, als manches Mitgliedsland Bürger hat –, doch ihre Lobby ist schwach. Im grenzenlosen Europa haben sie weder das Recht auf Reise- und Niederlassungsfreiheit noch das auf die Wahl parlamentarischer Vertreter – wenn man von dem kommunalen Wahlrecht in einzelnen Mitgliedsländern absieht. Statt dessen sind sie wachsenden Anfeindungen in beinahe allen Ländern ausgesetzt. Die Bestandsaufnahme der RednerInnen auf dem „Alternativen Gipfel“ ist bedrückend: Brandanschläge und Morde in Deutschland, Anschläge in Dänemark, Frankreich, Großbritannien, rechtsradikale Erneuerungsbewegungen europaweit und eine zunehmende Einschränkung des Asylrechts. „Der Rassismus ist seit Jahrhunderten ein Bestandteil der europäischen Kultur“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Tove Skutnabb-Kangas, „das wird nur nicht anerkannt.“

Die knapp 100 TeilnehmerInnen des Alternativen Gipfels spüren die Zunahme des Rassismus in ihrem Alltag. Und sie befürchten, daß Europa bald Schauplatz von Rassenunruhen werden könnte. Von dem heute beginnenden EG- Gipfel verlangen sie deswegen mehr als die bisherigen Appelle gegen den Rassismus. Sie wollen konkrete Aktionen.

Schon im April haben Experten im Auftrag kirchlicher und unabhängiger Gruppen eine Richtlinie für die Abschaffung rassistischer Diskriminierung erarbeitet. Nach dem Vorbild einer 1986 verabschiedeten Richtlinie für die Gleichbehandlung von Frauen soll die EG damit ein einklagbares Recht auf Nicht-Diskriminierung durchsetzen. „Eine gute Initiative“, soll der dänische Wirtschaftsminister gesagt haben, „aber das fällt nicht in die Kompetenz der EG.“ Ähnlich reagierten Vertreter anderer Mitgliedsländer und der EG-Kommission. Auf der offiziellen Tagesordnung des EG- Gipfels ist das Thema „Rassismus“ gar nicht erst vorgesehen.

Für den „Alternativen Gipfel“ steht fest, daß der „Kompetenzmangel“ eine faule Ausrede ist. Schließlich hat die EG seit ihren Römischen Gründungsverträgen von 1957 ihre Kompetenzen überall dort ausgeweitet, wo es ihr in den Kram paßte – beispielsweise bei der Asyl-Zusammenarbeit der Innenminister in Ad-hoc-Gruppen. Der britische Europaparlamentarier Glyn Ford bringt es auf den Punkt: „Der politische Wille ist entscheidend. Und den vermisse ich bei Kommission, Mitgliedsregierungen und Politikern.“

Diesen mangelnden politischen Willen wollen die Vertreter der ethnischen Minderheiten nicht länger hinnehmen. „Wir sind Teil dieses neuen Europas – wir lassen uns nicht beiseite schubsen“, sagen sie. Notfall reisen sie den EG-Gipfeln halt hinterher. „Wir machen jetzt einen Gegen-Gipfel, jedesmal wenn ein Gipfel stattfindet“, sagt Bernie Grant, der zumindest den richtigen Paß dafür hat. Dorothea Hahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen