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Leseunlust

■ Zeitungsverleger auf der Suche nach neuen Rezepten

Nicht zufällig war es der Chef einer Werbeagentur, der den versammelten Verlegern deutscher Regionalzeitungen den Marsch blies: „Zeitungen sind konservativ wie die Banken.“ Nun, wer genügend Geld macht in der Marktwirtschaft, kann sich das leisten. Die meisten Regionalzeitungen konnten das in den achtziger Jahren mit zweistelligen Umsatzrenditen. Schließlich gibt es in den meisten Städten und Kreisen der Bundesrepublik nur ein oder zwei Regionalzeitungen.

Die Konkurrenz der Zeitung ist meist nicht mehr die andere Zeitung – es ist die steigende Zahl der Nicht-LeserInnen. In den achtziger Jahren ist die durchschnittliche Zeit, die Erwachsene täglich mit der Zeitungslektüre verbringen, von 38 auf 30 Minuten zurückgegangen, Jugendliche unter 20 lesen sogar nur durchschnittlich 18 Minuten täglich Zeitung.

Hedomats lesen weniger

Auf dem „Print-Tag“ des Kölner Medienforums trug in der letzten Woche der Allensbacher Sozialforscher Rudiger Schulz Daten vor, die vermuten lassen, daß die Leseunlust zunehmen könnte. An Zeitmangel liegt es nicht, eher an sich wandelnden Wertvorstellungen und verändertem Freizeitverhalten. Der Anteil derer, die angeben, daß sie ihr „Leben als Aufgabe“ begreifen, oder für die es wichtig ist, für andere etwas zu tun, ist in der Folge der stillen Revolution nach 68 stark zurückgegangen. „Hedonistische Materialisten“ nennen die Medienforscher Hans- Dieter Gärtner und Rainer Mathes den neuen Typus, der gut verdienen will, um selber gut zu leben. Und diese „Hedomats“, so zeigt die Studie des Verbandes „Regionalpresse e. V.“ (übrigens auch Veranstalter des „Print-Tages“ in Köln), lesen deutlich weniger Zeitung.

Aber auch unter den anderen von den Wissenschaftlern kreierten Typen – ob sie nun aktive Realisten, Konventionalisten oder gar Resignierte heißen – ist das Interesse an Politik stark zurückgegangen, nach einem Höhepunkt vom Mauerfall bis zum Golfkrieg. Man hat sich ins Private, ins „Geflecht der kleinen Netze“ zurückgezogen. Wenn heute 46 Prozent der Befragten über „Orientierungslosigkeit“ klagen, könnte das zwar für die Tageszeitung eine neue Aufgabe bedeuten. Doch bieten die Zeitungen neue Orientierung? Verstärken sie nicht eher die Verwirrung, führt man sich die täglichen Schlagzeilen zu Bosnien, Bonn und Bundeswehr vor Augen?

In Berlin sind seit der Vereinigung über 100.000 LeserInnen vom Markt verschwunden. Am meisten haben dabei die Boulevardzeitungen verloren, aber auch die großen Abonnementsblätter Berliner Zeitung, Morgenpost und Tagesspiegel haben im letzten Jahre sinkende Auflagen gemeldet (der taz half gerade noch ihre finale „Rettungskampagne“).

Was tun, fragte sich so mancher in der Kölner Verlegerrunde (Frauen waren unter den Diskutanten nicht auszumachen). In den USA sind die Zeitungen deutlich bunter geworden, auch bei uns hält allmählich die Infographik Einzug, nicht nur bei den neuen Wochenblättern Focus und Die Woche. Von „Ghettoseiten“ für junge LeserInnen rät der Allensbacher Schulz ab und empfiehlt, „die ganze Zeitung jugendlicher zu machen“, mit lebenspraktischen und Veranstaltungstips. Medienprofessor Mathias Kepplinger wiederum würde Videospiele rezensieren lassen und „kurze aktuelle Information mit langen Hintergründen kombinieren“.

Die Bibel als Comic

Nach der Mittagspause widmete sich die Verleger- und Expertenrunde der Konkurrenz mit den elektronischen Medien. Schließlich hat der Rundfunk allen Umfragen zufolge wieder HörerInnen gewonnen, und die Fernsehnutzung nimmt immer noch zu. Valdo Lehari Jr. vom Reutlinger Generalanzeiger hatte 28 Tips und Thesen für die Verbesserung der Zeitung parat, zu denen sein Kollege von der Neuen Westfälischen, Werner Dehne, nur trocken bemerkte, er habe sie so oder ähnlich auch vor 15 Jahren schon gehört.

In manchem schien man allerdings doch aus bitteren Erfahrungen anderer lernen zu wollen. So riet Verleger Lehari dringend davon ab, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hektische Programmreformen nachzumachen. Wenn man die Bibel heute als Comic anbietet, lautete sein Credo, dann gibt es sie irgendwann nur noch als Comic. Dennoch: Etwas Selbstkritik sei schon angebracht, die Zeitungsredakteure müßten mehr für das Publikum und „weniger für uns und die Kollegen“ schreiben. Mit diesem Rezept könnte vielleicht sogar die taz noch neue FreundInnen gewinnen.

Auf ins lokale TV

Einem anderen Expertenrat wird die taz dagegen nicht folgen – und auch nicht können. Willi Schalk, Verlagschef von DuMont-Schauberg (u.a. Kölner Stadtanzeiger), versuchte die Regionalverleger davon zu überzeugen, daß sie sich „vom Zeitungshaus zum Medienunternehmen wandeln“, sprich: ins lokale Fernsehgeschäft einsteigen müßten, wollten sie den abfahrenden Zug nicht verpassen. Seinen Untersuchungen nach werden die regionalen Zeitungsverlage 10 Prozent vom Werbekuchen verlieren, wenn es in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr nur „Guten Morgen, Deutschland!“ heißt, sondern auch „Guten Morgen, Köln!“. In Berlin ist für ein solches Projekt vor kurzem die erste terrestrische Frequenz vergeben worden: an den Medienunternehmer Schamoni, hinter dem US-amerikanisches Kapital (Time-Warner) steht. Auch in Hamburg und München laufen Ausschreibungen.

Für wen sich das lohnt? Schalk meint, für die meisten Verleger in Ballungsräumen. Nach einer Studie des Baseler Prognos-Instituts wird der TV-Anteil am Werbekuchen weiter steigen: von 13 auf 25 Prozent. Aber gehört dem Lokalfernsehen wirklich die Zukunft? Da sind manche skeptisch. Nicht nur der Geschäftsführer des Reutlinger Generalanzeigers, der vorrechnete, daß die baden-württembergischen Verleger beim Lokalradio „schon 125 bis 250 Millionen Verluste“ angehäuft hätten. Auch der Bielefelder Kollege war nicht sicher, ob es denn „in Ostwestfalen täglich Ereignisse für 45 Minuten Fernsehen gibt“. Michael Rediske

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