: Überholt vom eigenen Einfluß
■ Velvet Underground, die ehemals intelligenteste Band der Welt, war am Sonntag in der Halle in Berlin
Die Halle heißt nicht nur so, sie ist auch eine alte Fabrikhalle. So weit ist der Ort stimmig.
Doch aus den Lücken, die von den schwarzen Vorhängen gelassen werden, dringt hell der Tag herein und zeichnet die Gesichter in einem schwammigen, alles verwischenden Licht. Dieses Licht gibt der „factory“ nur Grautöne, kein Schwarz und kein Weiß, keine der beiden Farben, die die Bilder, die jeder hier im Kopf hat, wiederaufleben lassen könnten. Nichts von jenen harten Kontrasten, die die Fotos von Velvet Underground aus der zweiten Hälfte der 60er bestimmen. Keine undurchsichtigen Sonnenbrillen über städtisch blassen Wangenknochen, keine schwarzen Rollkragenpullover neben einer blendend weiß gekleideten, blonden Nico.
The Velvet Underground 1993 ist keine Zeitreise, auch wenn es sich hübsch trifft, daß diese Reuniontournee just zum 25. Jahrestag des Ausstiegs von John Cale aus der Band stattfindet. Keine Zeitreise, keine Multimedia-Show, statt dessen ein hilflos unwirklicher Lichtmix. Das ist nicht die Rock'n'Roll-Band des nächsten Jahrtausends, das ist ganz einfach eine Rock'n'Roll-Band, die genauso heißt und aus denselben Musikern besteht, wie eine Rock'n'Roll-Band, die vor 25 Jahren den Rock'n'Roll für das nächste Jahrtausend spielte.
Natürlich sind da auf der Bühne auch die Velvet Underground, wie sie damals gewesen sein mochten. Sterling Morrisons Gitarre hat immer noch diesen fies gefährlichen Klang, der der Atonalität das Eintrittsticket in den Pop bescherte. Lou Reeds Stimme immer noch jene überlegene Larmoyanz, auf die er sich bei seinen vielen Solo- Platten zu oft fast ausschließlich verließ. Maureen Tuckers so primitiv vorwärtsgeschlagenes Schlagzeug ist immer noch die perfekte Umsetzung des urbanen Herzschlages, monoton in der Hektik, herzinfarktiös durch Übersättigung. Und wann immer John Cale den Bass mit der Viola vertauscht, kann man die Augen schließen und sich vorstellen, wie sie da standen: alle vier mit Sonnenbrillen, ausgezogen, um Warhols Großmannssucht zu ver- und betonen, und geendet als die einflußreichste Band der modernen Rockmusik.
Genau das waren sie. Nicht die Beatles, nicht die Stones, wirklich niemand hatte solche Auswirkungen auf nachfolgende Musikergenerationen wie VU. Und wenn sie schon nicht die wichtigste Band aller Zeiten waren, so waren sie doch wenigstens die meistkopierte. Keine Band der Welt brachte so viele Epigonen hervor, die fortan auf Promo-Fotos in Sonnenbrillen posierten, auch wenn diese nicht wie bei den Erfindern dazu dienten, sich auf der Bühne vor Warhols visuellen Exzessen zu schützen.
Keine Band war so geboren zum Heldentum, keine hatte es so verdient, bei keiner war das Timing, der Stoff, aus dem man Helden macht, so perfekt. Bevor Velvet Underground glorios hätten auftauchen können aus dem warholschen Kunstzirkelsumpf, hatten die Köpfe, Lou Reed und John Cale, die Band schon längst verlassen. Inzwischen ist ein Vierteljahrhundert vergangen, doch jetzt stehen sie tatsächlich da oben, und wohl kaum einer im Publikum hat diese vier jemals zusammen auf einer Bühne gesehen (wenn er nicht zufällig bei der Warhol-Gedächtnisveranstaltung 1989 in Paris zugegen gewesen ist).
Jetzt stehen sie da oben, und einige wenige haben sich in die Tiefe des Raums verzogen, wo das Tageslicht weniger Einfluß hat, und tun so, als hätten sie Drogen genommen, bewegen sich merkwürdig ungelenk neben dem Rhythmus und fahren sich mit zittrigen Fingern durch die Haare. Doch die meisten stehen nur da mit großen Augen und haben ihre Kinnlade gerade noch so in der Gewalt. Jeder Song ist ein Hit und ein jeder wird als solcher aufgenommen. Doch was treibt Menschen dazu, bei einem Song wie „Heroine“ im Rhythmus mitzuklatschen? Was bringt Lou Reed dazu, das Publikum zum Singen des Refrains von „Sweet Jane“ zu stimulieren?
Niemand hat von ihnen erwartet, die alte Spannung noch einmal aufbauen zu können, denn die 25 Jahre sind nicht nur an ihnen, sondern auch an Rockmusik nicht spurlos vorbeigegangen. Doch von der ehemals intelligentesten Band der Welt hätte man doch mehr erwartet als nur another „Rock'n'Roll-Band“. Auch wenn Reed diese seine Bestimmung schon kurz nach der Trennung von Cale angekündigt hatte.
Die Zeiten haben sich geändert, dieselbe Pose wirkt völlig anders. Keine Ansagen, kein Wort, nur ein ironisch gemeintes „Ick bin ain Börlinner“ von Reed, das einen lachenden Beifall herausfordert. Die demonstrative Coolness der jugendlichen Dränger, die mit den existentialistischen Drogen-Texten von Reed so wirkungsvoll kontrastierte, wirkt jetzt wie arrogantes Abzockertum.
Und draußen, wo es nun endlich doch dunkel geworden ist, auf dem Weg zur Straßenbahn, fällt mir dann ein, daß Reed genau das vorhergesehen hat, daß er dem „Rolling Stone“ erzählte, die Leute würden sagen: „Es wäre besser gewesen, sie hätten nicht gespielt. Die Erinnerung an sie ist so viel besser als die Realität.“ Was soll man da noch sagen? Thomas Winkler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen