: Bhutans Nord-Süd-Konflikt
■ Ein Paradies für absolute Monarchen, Entwicklungshilfeorganisationen und Tibetologen
Das kleine Königreich Bhutan im östlichen Himalaya, zwischen China und Indien gelegen, ist mit seinen rund 1,5 Millionen Menschen kaum größer als die Schweiz. In den sechs Distrikten im Nordwesten leben die sogenannten Drukpas, die in den letzten Jahrhunderten aus Tibet einwanderten. Sie folgen dem lamaistischen Buddhismus und sprechen Dzonka, einen tibetischen Dialekt. Druk Yul heißt das Land in der Dzonkasprache, Land des Donnerdrachens. König Jigme Wangchuk, selbst ein Drukpa, regiert als absoluter Monarch, seine Minister sucht er unter seinen Verwandten aus.
Auch die Sarchops im Nordosten des Landes sind Buddhisten. Sie gehören jedoch einer anderen Sekte an und sprechen einen anderen Dialekt. Drukpas und Sarchops leben abgeschirmt durch hohe Gebirgspässe, die in den subtropischen Süden führen, wo einst die britischen Kolonialherren Indiens Arbeiter aus Nepal für ihre Teeplantagen ansiedelten. Die Menschen im Süden sind mehrheitlich Hindus und sprechen Nepali oder in Nepal beheimatete Dialekte.
1988 gab es eine Volkszählung in Bhutan, bei deren Ergebnis die regierende Oberschicht erkennen mußte, daß sie durch die stark wachsende Bevölkerung im Süden Gefahr läuft, ihre Macht demnächst teilen zu müssen, zumal dort die Forderung nach einer demokratisch gewählten Regierung mit einem konstitutionellen Monarchen an der Spitze immer lauter wurde.
In der Folge verschärfte sich die staatliche Diskriminierung der südlichen Minderheiten, die rund 35 Prozent der Bevölkerung ausmachen: Ein Gesetz legte fest, daß nur, wer ein Zertifikat über die Abgabe von Landsteuern im Jahr 1958 vorweisen konnte, fortan als StaatsbürgerIn galt. Durch dieses Gesetz wurden bereits 100.000 BhutanesInnen staatenlos. Zusätzlich erließ die Regierung noch das sogenannte Kulturedikt, das die Sprache, Religion und Kultur der Drukpas für alle im Land verbindlich macht. So wurde es den Menschen im Süden verboten, ihre traditionellen Kostüme und Ornamente zu tragen. Sie sollten nun Gho und Kira für die Feldarbeit anlegen, die traditionelle Kleidung der Drukpas im hohen Norden, aber ungeeignet im heißen Süden. In den Schulen wurde Nepali-Unterricht verboten.
Die ersten Flüchtlinge kamen bereits vor vier Jahren nach Nepal. Erst waren es nur wenige, heute werden täglich bis zu hundert Menschen auf Lastwagen nach Nepal gebracht, in die Lager Timal, Pathari, Goldap und Beldangi.
Doch der Himalaya-Staat Nepal, eines der ärmsten Länder der Welt, kann auf Dauer so viele ungebetene Gäste nicht verkraften – selbst wenn die UNO und andere Hilfsorganisationen die Vertriebenen materiell unterstützen. Die Flüchtlinge lebten seit Generationen in Bhutan und haben meist keine Beziehung zu ihrem Herkunftsland mehr.
Die Flüchtlinge möchten am liebsten in ihre Heimat zurückkehren, und ihr Gastland Nepal hat gute Gründe, diesen Wunsch zu unterstützen. Dies ist jedoch nur mit Hilfe des „Großen Bruders“ Indien möglich. Die Rolle der Regierung in Neu Delhi aber ist in diesem Konflikt zwiespältig: Nepal und Bhutan sind zwar wirtschaftlich abhängig vom großen Nachbarn im Süden. Indien jedoch ist auf den Strom der Wasserkraftwerke im Himalaya angewiesen und an einer reibungslosen politischen Zusammenarbeit mit den Regierungen beider Staaten interessiert. Mit Bhutan, offiziell von Delhi unterstützt, klappte das bisher gut. Die Nepali jedoch, die seit zwei Jahren eine frei gewählte Regierung haben, werden zunehmend selbstbewußter. Und würde der Nepali-sprechende Teil der Bevölkerung Bhutans jetzt in seinem Land an Einfluß gewinnen, hätte Indien einen weiteren unberechenbaren Partner in der Region. Insofern ist die Großmacht interessiert, daß alles so bleibt wie bisher. Schlechte Aussichten für die Flüchtlinge.
Wie kommt es aber, daß das Königreich Bhutan bisher die Weltöffentlichkeit von den massiven Menschenrechtsverletzungen im Süden des Landes ablenken konnte? Da wird in der westlichen Presse, wenn überhaupt, Bhutan als das letzte Shangri La, das Tor zum Paradies, hochgejubelt. König Jigme Wangchuk gilt einhellig als handsome und wird gar mit einem griechischen Gott verglichen. Besonderer Sympathie kann er sich dann bei ausländischen Journalisten gewiß sein, wenn er sagt, daß er die Monarchie auch nicht für die beste Staatsform halte.
Das Land des Donnerdrachens ist nicht nur ein Paradies für Entwicklungsorganisationen, die in einem unterbevölkerten Gebiet mit mehr als ausreichenden Ressourcen die Richtigkeit ihrer Projekte beweisen können, sondern auch eines der letzten Reservate für Ethnologen, Tibetologen und verwandte Berufsstämme. Als allerdings die Londoner School of Oriental und Asian Studies Ende März dieses Jahres eine Bhutan-Konferenz abhielt, stellte sich heraus, daß die WissenschaftlerInnen sich mit dem Problem im Süden bisher kaum beschäftigt hatten. Alle waren schon mal in Nordbhutan gewesen, aber so gut wie niemand im Süden des Landes, und schon gar nicht in den Flüchtlingslagern in Nepal. Ingrid Decker
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