: Nicaragua:„Ausländer raus“
Nach einer Explosion in Managua fordern rechtsgerichtete Medien und Politiker die Überprüfung der im Lande lebenden Internationalisten ■ Aus Managua Ralf Leonhard
In Nicaraguas Internationalistenszene herrscht helle Aufregung. Seit Ende Mai drei eingebürgerte Basken in einer Nacht-und- Nebel-Aktion des Innenministeriums ihrer nicaraguanischen Staatsbürgerschaft entkleidet und ohne jedes Verfahren in eine Maschine der spanischen Streitkräfte gesetzt wurden, rufen rechtsgerichtete Medien und Politiker immer deutlicher nach einer Untersuchung aller im Lande lebenden Ausländer. Vor allem jener, die in den letzten Wochen der sandinistischen Herrschaft unter zweifelhaften Umständen einen nicaraguanischen Paß bekamen.
Alles begann am 23. Mai, als in einer Autowerkstatt in Managuas Santa-Rosa-Bezirk nachts eine Sprengstoffladung hochging. Drei Personen wurden buchstäblich in Stücke gerissen, zwanzig Häuser im Umkreis teils schwer beschädigt. Anschließend entdeckte die Polizei ein unterirdisches Waffenlager und eine stattliche Anzahl Pässe verschiedener Nationalitäten, vor allem salvadorianische. Innenminister Alfredo Mendieta machte die FPL, eine der Teilorganisationen der ehemaligen salvadorianischen Guerillafront FMLN verantwortlich. Angesichts der raffinierten Bauart des Depots vermutete man die Beteiligung von Experten der baskischen Separatistenorganisation ETA. Der Werkstattinhaber — ein eingebürgerter Baske — konnte fliehen. Drei weitere Basken mit nicaraguanischem Paß, zwei Salvadorianer und der Schweizer Dominique Ruegsegger wurden festgenommen.
Letzterer, ein Mitarbeiter des Hilfswerks Frères sans Frontières, hatte seinen VW-Käfer zur Reparatur in die Werkstatt gebracht. Vom Käfer, so stellten die Experten fest, soll die erste von drei Explosionen ausgegangen sein. Nach ein paar Tagen mußte die Richterin den Schweizer jedoch entlassen, da sie für das ihm vorgeworfenen Totschlags-Delikt keinerlei Anhaltspunkte finden konnte. Das Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischer Vereinigung und Sachbeschädigung kann er nun auf freiem Fuß abwarten. Für ihn wird die Sache wahrscheinlich glimpflich ausgehen: „Alle wissen, daß ich nichts damit zu tun habe“, sagt er.
Facundo Guardado und Salvador Samayoa, zwei führende Kader der FPL, die angereist kamen, um die Sache zu klären, leugneten anfangs jede Verantwortung für das Waffendepot. Doch nach einigen Tagen korrigierte die Organisation ihre Haltung und versprach, alle geheimen Arsenale, die noch in Nicaragua lagern, preiszugeben. Nicaragua war während der sandinistischen Epoche das strategische Hinterland der salvadorianischen Rebellen gewesen. Nach dem Friedensschluß in El Salvador Anfang 1992 wurde die Infrastruktur in Managua und Umgebung aber weitgehend aufgelöst und Waffendepots an die Beobachter der Vereinten Nationen übergeben. Die FPL hatte ihre Depots mit hunderten Gewehren, Granaten, Luftabwehrraketen und mehreren Tonnen Sprengstoff jedoch als strategische Reserve aufbewahrt, mit dem Argument, daß die salvadorianische Regierung ihre Auflagen aus dem Friedensvertrag auch nicht erfüllt habe. In den letzten Wochen wurden drei weitere Arsenale ausgehoben; das Innenministerium richtete eine Nummer für anonyme Hinweise ein. Seither haben mehrere Witzbolde Polizei und Presse aus reinem Spaß, oder, um jemanden zu ärgern, auf falsche Fährten gehetzt und damit die Hysterie noch weiter angeheizt.
Vieles deutet darauf hin, daß die Explosion in Santa Rosa kein Unfall war. Denn schon vorher waren Agenten des spanischen Sicherheitsdienstes in Nicaragua eingetroffen und hatten die Listen der eingebürgerten Spanier geprüft. Über 800 Personen wurden 1990 in den zwei Monaten zwischen dem Wahltag und der Amtsübergabe am 25. April eingebürgert. Darunter allein 463 Salvadorianer, 88 Spanier, 6 Deutsche, 87 Südamerikaner, zwei Irakis und ein Ire. Die konservative Zeitung La Prensa hatte schon vor drei Jahren die Listen der Salvadorianer veröffentlicht und versucht, daraus einen Skandal zu machen, da sich unter den Namen die zahlreicher comandantes und Mitglieder der FMLN fanden.
Das sandinistische Nicaragua war anfangs ein Mekka für Revolutionäre aus aller Welt. Viele blieben dort hängen. Einige haben auch allen Grund, nicht in ihre Heimat zurückzukehren und suchten nach der Abwahl ihrer Protegés den Schutz einer neuen Staatsbürgerschaft. Einige, darunter die drei deportierten Basken erwarben sie aber, wie sich jetzt herausstellte, auf der Grundlage gefälschter Dokumente. Eine eingehende Untersuchung wurde vom sandinistischen Polizeichef Rene Vivas mit dem Argument, die Sache sei völlig legal, lange Zeit verhindert. Vivas wurde aber auf Druck der USA im September vom weniger linientreuen Fernando Caldera abgelöst.
Daß sowohl Innenminister Mendieta als auch Armeechef Humberto Ortega unmittelbar nach der Explosion in Santa Rosa mit dem Brustton der Überzeugung die FPL verantwortlicht machten, läßt die Vermutung zu, daß beide schon vorher von der Existenz des Waffenlagers gewußt hatten. Nicht nur Beobachter aus dem rechten Lager sind daher überzeugt, daß jemand in ihren Auftrag den Unfall provozierte, um gleichzeitig die geheimen Lager der Salvadorianer loszuwerden und das Thema der unter der heutigen Regierung nicht mehr willkommenen Ausländer aufs Tapet zu bringen.
Pikante Pointe am Rande: der nach Spanien verfrachtete Baske Javier Azpiazu wurde kurz nach seiner Ankunft wieder auf freien Fuß gesetzt, da sein Strafregister durch eine Amnestie getilgt wurde. Seine nicaraguanische Frau und das gemeinsame Kind erwarten freudig seine Rückkehr.
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