: Genugtuung in Teheran
■ Der Machtwechsel in Aserbaidschan gilt als Niederlage der Türkei
Istanbul (taz) – Das politische Chaos in Aserbaidschan nach dem Putschversuch rebellierender Soldaten unter Führung von Surat Gussejnow und die Flucht des aserbaidschanischen Präsidenten Abulfaz Eltschibej haben in Teheran Genugtuung ausgelöst. „Die Niederlage Eltschibejs ist die Niederlage der Türkei“ frohlockte das Blatt Cumhuri Islami. Eltschibej sei eine politische Figur im Dienste „der Türkei, der USA und Israels“. Die Abneigung Teherans gegen den aserbaidschanischen Präsidenten, der erstmalig in der Geschichte des Landes durch freie Wahlen im Sommer 1992 an die Macht gelangte, ist verständlich: Der Konflikt mit Armenien und die kriegerischen Auseinandersetzungen um Berg-Karabach bestimmten nur oberflächlich die politische Diskussion in Aserbaidschan. Tatsächlich jedoch vollzog sich ein Machtkampf um die künftige Rolle des Landes. Präsident Eltschibej pflegte außerordentlich gute Beziehungen zur Türkei, verkündete den souveränen Staat Aserbaidschan, schied aus der GUS aus und malte das Gespenst eines mit den iranischen Aserbaidschanern vereinigten Landes an die Wand. Der Ex-Dissident Eltschibej, der 1975 wegen „antisowjetischer Propaganda“ ins Gefängnis und ins Arbeitslager wanderte und später die oppositionelle Volksfront ins Leben rief, hat seit seinem Amtsantritt Rußland und den Iran vor den Kopf gestoßen.
Eltschibej konnte außenpolitisch auf die Türkei und die USA zählen und stützte sich innenpolitisch auf die Volksfront, deren Massendemonstrationen das alte Regime zu Fall gebracht hatten. Doch seit seinem Amtsantritt sank Eltschibejs Popularität beständig. Die militärischen Niederlagen gegenüber Armenien und die desolate wirtschaftliche Lage bildeten die Grundlage für die Rebellion, die zur Flucht Eltschibejs aus Baku in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan führten. Eltschibej war zwar Präsident, doch ohne Staatsapparat. Es waren seine Generäle, die ihm mitteilten, daß sie den Präsidentenpalast nicht gegen die Rebellen verteidigen würden.
Die türkischen Reaktionen auf den coup d'etat waren äußerst scharf. „Es kann nicht hingenommen werden, daß ein auf demokratischem Wege gewählter Präsident mit Gewalt gestürzt wird“ sagte Außenminister Cetin. In Ankara weist man darauf hin, daß Eltschibej nicht zurückgetreten sei und sich nur außerhalb der Hauptstadt aufhalte. Auch in einer Stellungnahme der US-Regierung wird hervorgehoben, daß Eltschibej weiterhin Präsident des Landes sei. Unter türkischem Druck mußte der neue starke Mann in Baku, Gaidar Alijew, seine Erklärung, daß er das Präsidentenamt übernehme, zurücknehmen.
Der 70-jährige Alijew, einst KGB-Mann, Politbüromitglied der KPDSU und 13 Jahre Generalsekretär der aserbaidschanischen KP, war nach Beginn der Rebellion von Eltschibej selbst nach Baku gerufen und dort zum Parlamentspräsidenten gewählt worden. In den vergangenen Jahren hatte Alijew, der sich nach der politischen „Wende“ mit dem Präsidentenamt des 300.000 Einwohner zählenden Nachitschewans begnügen mußte, versucht, sich mit Moskau, Ankara und Teheran zu arrangieren. In Ankara gilt Alijew als das „kleinere Übel“ gegenüber den politischen Kräften, die hinter Rebellenführer Gussejnow stehen und die totale Anbindung Bakus an Moskau repräsentieren. Ein gemeinsames Gespann Eltschibej- Alijew wäre für die Strategen im türkischen Außenministerium mittlerweile die Lieblingslösung, da ihnen inzwischen klar geworden ist, daß Eltschibej allein nicht mehr an der Macht zu halten ist. Die Ereignisse in Aserbaidschan sind allemal ein Schlag gegen die Türkei, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Führungsrolle unter den moslemischen Republiken anmaßte. Ömer Erzeren
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