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Handeln, nicht zuschauen

■ KreuzbergerInnen wollen Anschläge verhindern und Rechtsextremismus im Bezirk bekämpfen / "SO 36" lud zum Bürgertreff ins Kato / Flugblätter und Telefonketten

Bis vor kurzem galt Kreuzberg als der Stadtteil Berlins, in dem rassistische Übergriffe so gut wie undenkbar erschienen. Nach der jüngsten Mordwelle in Deutschland und dem Brandanschlag in der Blücherstraße – den viele in Kreuzberg als das Werk von Rechtsradikalen betrachten – ist diese Einschätzung für manche KreuzbergerInnen fraglich geworden. Montag abend versammelten sich daher zum zweiten Mal in fünf Tagen gut 60 BürgerInnen, „um nicht mehr nur zu warten, bis wieder ein Brandanschlag passiert“, wie Rainer Sauter vom Stadtteilverein „SO 36“ treffend die Stimmung beschrieb.

„Wir müssen unsere Gelähmtheit überwinden und handlungsfähig werden“, sagte Sauter zur Zielsetzung des Treffens. Allgemeinpolitische Forderungen seien wichtig, doch nun müsse jeder einzelne in seinem Umfeld aktiv werden. Die Anwesenden bildeten Arbeitsgruppen zu verschiedenen Handlungsfeldern wie „Schulen“, „Medien“, „Straßenagitation“ und „Telefonaktionsketten“. An Ideen herrschte kein Mangel im „Kato“ unter dem Bahnhof Schlesisches Tor.

Eine Frau rief dazu auf, im Alltag den Blick zu schärfen: „Wo sind Häuser, die vor allem von EinwanderInnen bewohnt werden? Wo treffen sich Rechte in unserem Stadtteil?“ Daß es auch in Kreuzberg „rechte Kneipen“ gibt, wußten einige zu berichten. Deren Adressen sollen nun gesammelt werden. „Warum sollten wir nicht mal da hingehen und mit den Leuten über Deutschland im Jahr 2000 diskutieren?“ fragte ein Diskussionsteilnehmer.

Angeregt wurde auch, anhand von Wahllisten Hochburgen der „Republikaner“ im Stadtteil zu ermitteln und zu versuchen, „mit den Leuten ins Gespräch zu kommen“. Immerhin hätten bei der letzten Wahl bis zu 14 Prozent der KreuzbergerInnen die „Republikaner“ gewählt.

Wichtiges Thema war der konkrete Schutz vor Anschlägen. Ein Flugblatt mit Telefonnummern für den Notfall soll EinwandererInnen in die Briefkästen gesteckt werden. Andere Zettel in Telefonzellen und Supermärkten sollen die BürgerInnen wachrütteln: „Gebt Bescheid, wenn Ihr etwas verdächtiges seht.“ Die Feuerwehr will die BürgerInneninitiative dazu anregen, der multikulturellen Gesellschaft Rechnung zu tragen und mehrsprachige Flugblätter zu Verhaltensregeln im Brandfall an die Bevölkerung zu verteilen. Eine Telefonkette soll, wenn sich Rechte sammeln, schnellen Schutz ermöglichen.

Die „Initiative Admiralstraße“ stellte dar, wie „die Kraft der Nachbarschaft“ (Sauter) wirken kann: Man müsse aufeinander zugehen, Hoffeste organisieren, Solidarität durch Transparente und Flugblätter sichtbar machen. Die Arbeitsgruppe „Schulen“ möchte im Herbst eine Projektwoche an allen Berliner Schulen anregen. Als erster Schritt dazu soll am ersten Schultag vor allen Kreuzberger Oberschulen für diese Idee geworben werden. Die Mediengruppe will einen alternativen Kneipensender ins Leben rufen. Schließlich sollen bei einem Stadtteilrundgang rassistische Parolen und Nazi-Symbole entfernt werden.

Kontakt: „SO 36“, Tel.612 60 30 oder „SPAS“ (Mieterberatung Süd), Tel.693 10 08. Das nächste Treffen findet am nächsten Montag um 20 Uhr im „Kato“ statt. Ulrich Jonas

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