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Die schleichende Gewöhnung an deutsche Uniformträger im Ausland

■ Die meisten bisherigen Auslandseinsätze wurden von der SPD mitgetragen, Widerspruch erfolgte nur halbherzig

Für die Bundesregierung steht in Karlsruhe politisch viel auf dem Spiel. Auch wenn die Richter zunächst einmal nur über den Antrag der SPD auf einstweilige Verfügung befinden und die Hauptsachenentscheidung des Gerichts über den Somalia-Einsatz der Bundeswehr erst in einigen Monaten fallen soll. Denn folgen die Richter dem Antrag der SPD, müßte die Hardthöhe die bereits in Somalia stationierten Soldaten umgehend zurückholen und die ganze Aktion zunächst stoppen. Das wäre ein erster Rückschlag für die seit über vier Jahren erfolgreich praktizierte „Salami“-Taktik der Bonner Koalitionsstrategen.

Bundesgrenzschützer in Namibia, deutsche Minensuchboote im Golf, Luftwaffenhubschrauber im Irak, Sanitätssoldaten in Kambodscha oder die deutschen Besatzungen an Bord von Awacs-Maschinen während des Golfkriegs über der Türkei und seit einigen Monaten über der exjugoslawischen Adriaküste – so lauteten die wichtigsten Stationen der schleichenden Gewöhnung der heimischen wie der internationalen Öffentlichkeit an deutsche Uniformträger im Ausland.

Die SPD-Opposition hatte diesem schleichenden Verfassungsbruch keine klare Linie entgegenzusetzen. Die meisten Auslandseinsätze deutscher Soldaten wurden – wenn auch manchmal mit Murren – mitgetragen und von der Opposition nicht zur Klärung ihrer Verfassungmäßigkeit vor das Karlsruher Gericht gebracht. Die Awacs-Klage der SPD kam viel zu spät, war halbherzig und widersprüchlich begründet und nicht mit Argumenten eigener militärischer Sachverständiger untermauert; die Regierung dagegen bot Bundeswehrgeneräle und den Nato-Generalsekretär auf. Ähnliches gilt für den Verfügungsantrag gegen den Somalia-Einsatz, den die SPD zunächst ja mitgetragen hatte.

Fernziel der „Salamitaktik“ der Koalition ist die uneingeschränkte Möglichkeit zum Auslandseinsatz deutscher Soldaten zwecks Durchsetzung deutscher Interessen, wie sie eindeutig und weitgehend definiert sind ihm „Stoltenbergpapier“ der Hardthöhe vom Januar 92. Ein Jahr zuvor hatte Kanzler Kohl in seiner Regierungserklärung die neue Ära eingeläutet mit den Worten: „Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten.“

Zur Weltmachtrolle gehört für die Regierung auch die ständige Mitgliedschaft der Bundesrepublik im UNO-Sicherheitsrat. Ein Ziel, für das hinter den Kulissen zu werben seit geraumer Zeit die Hauptaufgabe des Bonner UNO- Botschafters in New York ist. Das starke Bonner Interesse an einem Sitz unter den „Privilegierten der Völkergemeinschaft“ wollen Kohl und Außenminister Kinkel im Zusammenhang mit dem Thema „UNO-Reform“ auch bei ihren heutigen Bonner Gesprächen mit UNO-Generalsekretär Butros Ghali vorbringen. Denn die Zeit der vornehmen Bonner Zurückhaltung ist bald vorbei. Bis zum 30. Juni müssen alle Staaten, die entweder selber Interesse an einem ständigen Sicherheitsratssitz haben oder andere Länder dafür vorschlagen, ihre entsprechenden Vorstellungen bei Ghali abgeliefert haben. Das Kalkül der Bonner Koalitionsstrategen: Die Chancen Deutschlands steigen, je früher die „völlige Normalisierung“ erreicht ist – also im UNO-Rahmen anfallende Aufgaben von Deutschland nicht mehr abgelehnt werden. Deshalb ist es für die Bundesregierung von großer, weit über den konkreten Anlaß Somalia hinausgehender Wichtigkeit, daß die Karlsruher Verfassungsrichter den Antrag der SPD ablehnen. Andreas Zumach

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