Avec souci
: Nachschlag

■ Reaktionen auf die Schließungen der Staatlichen Bühnen

„Sie haben uns bereits verlassen, ich bitte Sie, das jetzt auch körperlich zu tun!“ Also sprach der Hausherr, der schon bald keiner mehr sein darf, dann verdunkelte sich die Sonne – Kultursenator Roloff-Momin saß im Dunkeln. Volkmar Clauß hatte sich mit dem Lichtschalter gerächt.

Pfiffe und Buhrufe hatte es gehagelt, als der parteilose (und als Sparsenator glücklose) Kultursenator gestern mittag das Schiller Theater betreten hatte, um auf der außerordentlichen Betriebsversammlung die Senatsentscheidung vom Vortag zu begründen, derzufolge am 4. Juli die Lichter des Schiller- und Schloßparktheaters endgültig ausgehen. Nicht nur die dreihundert Beschäftigten der Staatlichen Bühnen, nicht nur das zum Teil prominent besetzte Ensemble, auch die Intendanten und Schauspieler vieler anderer Berliner Bühnen kritisieren diesen radikalen und unvermittelten Beschluß als „kulturpolitisches Attentat“, so der geschäftsführende Intendant der abgewickelten Bühne, Volkmar Clauß. Er kann hinter dem Beschluß kein gedankliches Konzept, „sondern nur eine Panikentscheidung des Senats“ sehen. Gemeinsam mit seinem designierten Künstlerischen Direktor Gerhard Ahrens forderte er alle Berliner Theater auf, sich solidarisch zu verhalten. Mit Erfolg: Thomas Langhoff vom Deutschen Theater und Frank Castorf von der Volksbühne verurteilen die Senatsentscheidung, Solidaritätsbotschaften aus der ganzen Republik treffen in der Bismarckstraße ein, und Claus Peymann forderte das Abgeordnetenhaus per Fax auf, dem „Berliner Senator für kulturelle Angelegenheiten Roloff-Momin und seinem im vollen Umfang mitverantwortlichen Vorgänger Hassemer das Mißtrauen auszusprechen“.

Das Berliner Theatersterben hatte schon vor einem Jahr mit der Schließung der Freien Volksbühne begonnen, nur hat es damals niemand so recht wahrhaben wollen. Die Situationen sind durchaus vergleichbar: Hier wie dort wurde ein großes renommiertes Haus durch politische und künstlerische Fehlentscheidungen über Jahre hinweg leergespielt, und gerade als der gekrönte Retter seine Arbeit aufnehmen will, fehlt das Geld, die geplante künstlerische wie ökonomische Sanierung in die Tat umzusetzen. Hermann Treusch, geschaßter Volksbühnen-Intendant, wird sich gut vorstellen können, wie Volkmar Clauß sich jetzt fühlt. Auch ihm war bei Vertragsabschluß versichert worden, daß die Volksbühne nicht vor einer zweijährigen Gnaden- und Bewährungsfrist abgewickelt würde. Jetzt probt an der Schaperstraße Friedrich Kurz sein Tingeltangel.

Die Zeichen stehen für das Schiller Theater, Deutschlands größte und teuerste Bühne, nicht viel besser. Auch wenn Noch- Intendant Clauß jetzt Maßnahmen plant, „diese Entscheidung zu revidieren“. Denn der Feind, gegen den die Belegschaft der Staatlichen Bühnen und all ihre Fürsprecher nun kämpfen, sitzt nicht in der Kulturverwaltung, nicht einmal in den anderen Ressorts. Es ist das riesige Haushaltsloch von 8,7 Milliarden Mark, das jeder vernünftigen Entscheidung den Garaus macht. Bei einer Zinslast von täglich fünf Millionen Mark bleibt dem Senat kein Spielraum für Bewährungsproben mehr.

Die Versäumnisse liegen – wie immer – Jahre zurück und lassen sich nicht mehr revidieren. Auch die Strukturreform der Berliner Theater kam Jahre zu spät. Schon Ivan Nagels Gutachten vom Mai 1991 kritisierte das Schiller Theater als nur schwer steuerbares Schiff mit arger Schlagseite. Damals dachte man noch, den Dampfer mit einem Lotsenwechsel wieder auf Kurs bringen zu können. Heute weiß man, daß das noch immer nicht gelungen ist. Im Rennen um die vorderen, sicheren Plätze sind Langhoffs Deutsches Theater oder Castorfs Volksbühne deutlich schneller gewesen. Ihnen wird nun ein Teil des gesparten Geldes zuteil werden. Thomas Langhoff kann nun endlich seinen kritischen Haushaltsposten 2702, „Künstlerischer Etat“, aufstocken, und Frank Castorf wird gar ein großzügiges Geschenk gemacht: Johann Kresnik will und wird nun sein Tanztheater nach Berlin verlegen. Eine für Berlin sehr interessante Entscheidung. Und auch im Mittelfeld gibt es immer noch genügend Theater, die sich bei dem senatsverordneten Gewaltakt unauffällig ducken konnten, indem sie berechenbar solides Handwerk abliefern: Das Maxim Gorki Theater zum Beispiel oder das Theater des Westens. Auch die Schaubühne, die derzeit vor allem mit ihrem guten Ruf glänzt, ist in Sicherheit. Das Schiller Theater leuchtete in den letzten Jahren so deutlich mit Profilierungsschwierigkeiten, daß schon in so manchem Feuilleton der Ruf nach Schließung der Bühne laut wurde.

Nun kommen natürlich die Lamentos trotzdem aus allen Ecken der Stadt. Die SPD bedauert die Entscheidung und schiebt die Verantwortung auf die Bonner Bundesregierung. Die FDP, glücklicherweise gerade in der Opposition, kann die Schließung für einen „kulturpolitischen Skandal“ halten, und der kulturpolitische Sprecher der CDU darf gar verkünden, daß man „Krisensituationen nicht mit dem Holzhammer“ löst. Wie gut, daß der Kultursenator parteilos ist. Den Gewerkschaften geht es um die Arbeitsplätze, die IG Medien ruft kämpferisch zu Warnstreiks auf. Allerorten erinnert man sich jetzt an die große Geschichte des Hauses, verweist auf die Vielfalt einer hauptstädtischen Theaterlandschaft und übersieht dabei doch allzu gerne, daß dem jetzt so gescholtenen Kultursenator kaum eine Alternative blieb: Hätte er wirklich allen 21 Häusern eine zehnprozentige Etatkürzung zumuten sollen, die das langsame Theatersterben aller Bühnen zur Folge gehabt hätte? Es ist eine traurige Angelegenheit, daß nun die schwarzen Banner am Schiller Theater wehen, aber das Signal, bei den Staatsbühnen – also gewissermaßen vor der eigenen Haustür – zu kehren, zeugt auch von einem gewissen Mut. Zumindest ist es das richtige (und längst überfällige) Signal. Was jetzt beschlossen wurde, ist absehbar nur der Anfang. Spätestens 1995 wird sich das Karussell wieder drehen. Da wird den Berlinern einfallen müssen, daß sie immer noch drei Opernhäuser (die man derzeit nicht schließen kann, weil sich der Senat in dieser Angelegenheit festgelegt hat) und 19 Stadttheater haben. Klaudia Brunst