■ Neues Krisengebiet in britischem Vorgarten: „Die Schlacht um den Fisch“
London (taz) – Engländer gelten im allgemeinen als exzentrisch. Die Marotte des 43jährigen John Gladden aus Croydon bei London stößt jedoch selbst bei seinen Landsleuten auf Verwunderung. Die Nachbarn haben inzwischen Klage gegen ihren skurrilen Landsmann eingereicht, weil sie um den Marktwert ihrer Häuser fürchten.
Alles hatte damit angefangen, daß Gladden, wohlhabender Besitzer mehrerer Maschinenbaufirmen, im vergangenen Sommer auf Hawaii einen 700 Pfund schweren blauen Merlin aus dem Wasser gefischt hatte. Damit sein Fang in der Heimat nicht als Anglerlatein abgetan würde, ließ Gladden den Fisch zum Konservieren nach Florida schicken. Eingegossen in Glasfiber trat das Riesentier dann die Reise nach Croydon an. Dort stellte sein Besitzer jedoch entsetzt fest, daß seine Beute nicht wie geplant ins Wohnzimmer paßte. Also ließ der stolze Angler den Merlin auf das Hausdach montieren. Die Nachbarn hatten dafür jedoch nicht das geringste Verständnis. In Sorge darüber, daß sie mit dem angelnden Spinner möglicherweise in einen Topf geworfen werden könnten, beschwerten sie sich bei der Bezirksverwaltung – ohne zu ahnen, was sie damit auslösen würden. Die Verwaltung legte Gladden nahe, sich um eine Baugenehmigung zu bemühen, weil es sich bei der Dachmontage des Fisches um eine erhebliche bauliche Veränderung handelte. Gladden traute der Behörde jedoch nicht über den Weg und ergriff einige Maßnahmen, um seinen Fang vor dem Zugriff der Beamten zu schützen. Er plazierte in seinem Vorgarten das Modell einer Scud Missile, einen echten Panzer und eine vier Meter große, aufblasbare Statue von Winston Churchill.
Die Anwohner rannten der Bezirksverwaltung empört das Haus ein. Gladden lenkte daraufhin scheinbar ein und stellte einen Antrag auf Baugenehmigung für den Dachfisch, ohne allerdings den Kriegspremier und seine Militärmaschinerie abzurüsten.
Vor zehn Tagen bestätigte sich Gladdens Verdacht: Der Antrag wurde abgelehnt. Der Hobby- Angler fuhr daher weitere Geschütze auf. Über Nacht baute er auf dem Dachfirst über dem Glasfibertier ein Spitfire-Kampfflugzeug auf. „Das Flugzeug bleibt so lange dort stehen, bis ich die Schlacht gegen die Verwaltung gewonnen habe“, erklärte Gladden. Er hat erst mal Widerspruch gegen die Ablehnung seiner Baugenehmigung eingelegt. Eine Untersuchung des Falles, die das Umweltministerium eingeleitet hat, wird erst im August ihre Arbeit aufnehmen. Ursprünglich habe man lediglich eine Baugenehmigung für den toten Fisch verlangt, sagte eine Sprecherin der Bezirksverwaltung, doch dann seien all diese anderen Objekte aufgetaucht. „Er behauptet, er müsse den Fisch vor uns schützen“, sagte sie entnervt. „Wer weiß, was er noch alles aufstellt.“ Vielleicht eine eiserne Margaret- Thatcher-Attrappe?
Die Nachbarn haben jedenfalls die Schnauze voll. Zu allem Überfluß zieht es Menschen aus dem ganzen Land nach Croydon, um die Angler-Festung mit eigenen Augen zu begutachten. Vor allem an Wochenenden kommt es in der kleinen Straße regelmäßig zum Verkehrschaos. Dankenswerterweise werden auch unwissende Passanten aufgeklärt, worum es bei dem Aufgebot der Vorgarten- Streitmacht geht. Ein Holzschild unter dem Dach verkündet: „Die Schlacht um den Fisch“. Der Ratsvorsitzende Peter Bowness hat den Anwohnern inzwischen sein Beileid ausgesprochen. Er sagte mit typisch englischem Understatement: „Herrn Gladdens Benehmen ist exzentrisch, fremdartig und wird zunehmend störend.“ Ralf Sotscheck
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