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Werbe-Scheibletten

■ "Ein Tag im Leben der Endverbraucher", 23 Uhr, ARD

Heute abend gibt es im Ersten einen 45-minütigen Werbeblock. Und kein Rundfunkrat und keine Landesmedienanstalt wird dagegen etwas tun können. Denn „Ein Tag im Leben der Endverbraucher“ des Berliner Regisseurs Harun Farocki ist gleichzeitig ein Fernsehfilm, eine Dokumentation über einen Tag in dem imaginären Land, das in der Fernsehreklame zu besichtigen ist. Aus unzähligen Werbespots hat Farocki einen Tagesablauf im Leben der fidelen Models zusammengeschnitten, die uns im Fernsehen Kaffeefilter, Haarspray, Schnaps, Scheibletten, Weichspüler und Autotelefone verkaufen sollen.

Wie ein Zapper, der nicht von Programm zu Programm, sondern von Werbeinsel zu Werbeinsel schaltet, mixt Farocki aus den dumm-frohen Stereotypen der Fernsehreklame ein ironisches Zerrbild unserer Konsumgesellschaft. Während Schlummernde noch darauf warten, mit einem Täßchen Kaffee geweckt zu werden, ist im Auftrag einer Tiefkühlgemüse-Firma auf deutschen Feldern schon der „Wettlauf um den frischesten Spinat“ im Gang. Zum Frühstück schenkt – wir sind plötzlich in den siebziger Jahren – Frau Sommer einem Jürgen-Drews- Double „aromatisch“ dampfendes schwarzes Gebräu ein. Zur selben Zeit, als im Innenstadt-Stau mit Haarspray besprühte Mähnen bewundernde Männerblicke auf sich ziehen, gratuliert der Zahnarzt seiner glücklich lächelnden Patientin, und Gustav Knuth läßt uns wissen, daß er sich auf seine Corega Tabs verlassen kann.

So wie Walter Buttmann in seinem Stummfilm-Klassiker „Berlin – die Symphonie der Großstadt“ aus scheinbar zufällig eingefangenen Szenen ein Mosaikbild Berlins montierte, konstruiert Farocki aus den Commercial-Fetzen ein bisweilen witziges, eigentlich aber eher alptraumhaftes Abbild der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Werbeuniversum: Zur „blauen Stunde“ fließt Litamin in die Badewanne, bei Gard steht man auch am Spätnachmittag noch im Stau, und als der Tag geht und Johnny Walker kommt, ist es Zeit, mit den Kleinen den Blendax-Anti-Belag-Test zu machen. Anderswo wird derweil Campari oder „friesisch-herbes“ Jever getrunken, und während die Wüstenrot- Bausparfüchse sich zur Ruhe legen, landet noch rasch ein Ufo hinterm Haus, um das irdische TV- Kabelnetz zu testen.

Es ist eine groteske Welt, die Harun Farocki uns in seinem Film vor Augen führt. Anders als bei den „Cannes-Rollen“, die Werbespots zu ihrem eigenen Lobpreis aneinanderreihen, macht „Ein Tag im Leben der Endverbraucher“ den oft schon surrealen Unsinn der Reklamespots sichtbar, indem er uns eine Überdosis verabreicht und sie mit der alltäglichen Langeweile eines normalen Tagesablaufs konfrontiert. Besonders redundant wird die Aneinanderreihung von Szenen aus der Welt der freien Marktwirtschaft dadurch, daß es meist die überflüssigsten und austauschbarsten Waren sind, die besondes exzessiv beworben werden.

Zunächst erschien die Idee, einen Film zu machen, ohne auch nur einmal eine Kamera anzurühren, genial einfach. Doch die „Dreharbeiten“ zu diesem Film erwiesen sich als unerwartet schwierig. „Um die Spots zusammenzubekommen, brauchten wir drei Monate harte Arbeit“, sagt Farocki, der anschließend Wochen am Schneidetisch verbrachte, um aus den Filmchen, die selten länger als 30 Sekunden sind, 45 Minuten zusammenzustellen. Farocki, zu dessen letzten Werken „Leben BRD“ (1990) und „Videogramm einer Revolution“ (1993) zählen, mußte sich oft durch Stunden seines Rohmaterials quälen, bis er fand, was er zeigen wollte. „Das war oft wahnsinnig schwer, die richtigen Sujets zu finden“, erzählt er. „Wir hatten zwar jede Menge Bilder von Familien beim Frühstück, aber es gab so gut wie keine brauchbare Szene von einem Mann, der das Haus verläßt.“

Der „Handlung“ des Films zu folgen, ist oft ermüdend; zu schnell prasseln die Bilder auf den Zuschauer ein. Farocki: „Das ist, als ob man Nahrung zu sich nimmt, die nur aus Ballaststoffen besteht; es führt zu einer geistigen Entleerung. Der Zuschauer wird vom Material verbraucht. Wenn man den Film unvorbereitet sieht, fragt man sich wahrscheinlich danach: ,Was war da eigentlich?‘“

Als direkte Kritik an der Werbung will Farocki sein Commercial-Recycling aber nicht verstanden wissen: „Mit der Werbung ist es wie mit einer Kirche: Ob man gläubig ist oder nicht – man muß die Kunst anerkennen. Die Werbung hat Kritik an sich immer ironisch eingeschlossen und so wirkungslos gemacht.“ Seinen Film sieht er eher als „Aneignung“ von ready mades aus der Warenwelt, wie sie in der Pop-art vorexerziert wurde. Obwohl in den Werbefilmen natürlich „keine Ausdrucksfreiheit in den Bildern ist“, imponieren ihm sogar einige der Spots: „Diese Jade-Reklame mit dem Slogan ,Die Nacht wird lang werden‘ – das könnte auch von Antonioni sein.“ Tilman Baumgärtel

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