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Kabinett billigt Pflegeversicherung

■ Karenztage zur Entlastung der Arbeitgeber / Erste Leistungen ab 1994/ Gewerkschaften protestieren

Bonn (dpa/ap) – Das Bundeskabinett hat gestern das umstrittene Gesetzespaket zur Einführung einer Pflegeversicherung und von Karenztagen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gebilligt. Danach soll die Pflegeversicherung in zwei Stufen 1994 und 1996 in Kraft treten. Die Beiträge in der ersten Stufe ab 1. Januar 1994 sollen ein Prozent vom Bruttolohn betragen. Ab 1. Januar 1996 soll Stufe zwei wirksam werden, die auch die stationäre Pflege umfaßt. Die Beiträge steigen dann auf 1,7 Prozent des Bruttoeinkommens.

Die gleichgewichtige Aufteilung der Beiträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern steht allerdings nur auf dem Papier. Vor allem auf Drängen der FDP, aber auch der CDU-Mittelstandspolitiker wurde eine umstrittene Kompensation des Arbeitgeberanteils vereinbart. Per gesondertem Gesetz soll die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in den ersten zwei Tagen einer Krankheit gestrichen werden, maximal für sechs Tage im Jahr und nicht bei chronisch Kranken, Schwangeren oder nach Arbeitsunfällen. Statt des Gehaltsverzichts können sich Arbeitnehmer auch zwei Urlaubstage anrechnen lassen. Auch Beamte sollen in die Kompensation einbezogen werden, wogegen allerdings Bundesjustizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verfassungsrechtliche Bedenken zu Protokoll gegeben hat.

Ab 1. Januar 1994 soll die Pflegeversicherung bereits für häusliche Pflege zahlen. Dabei liegen die Leistungen, wenn Angehörige oder Freunde die Pflege ausführen, je nach Schwere des Falles zwischen 400 und 1.200 Mark im Monat. Wahlweise kann auch Pflege durch einen häuslichen Pflegedienst mit Beträgen zwischen 750 und 2.100 Mark erstattet werden. In Stufe zwei sollen bis zu 2.100 DM für die Heimunterbringung übernommen werden. Zusätzlich erhalten die stationär Pflegebedürftigen einen Zuschlag, mit dem die Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen finanziert werden sollen. Gewerkschaften und SPD haben bereits entschiedenen Widerstand gegen Karenztage angekündigt. ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies rief gestern zum „Kampf gegen das Schandgesetz“, notfalls auch mit Streiks.

Tarifverträge, in denen bisher meist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geregelt ist, sollen in dem Lohnfortzahlungsgesetz für ungültig erklärt werden, was auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt. (Karlsruhe wird's schon richten.) Allerdings sollen die Karenztage formal nicht als Kompensation, sondern als Maßnahme zur Bekämpfung von Mißbrauch zusammen mit anderen Regelungen eingeführt werden. Zudem sieht das Lohnfortzahlungsgesetz die Vereinheitlichung der Bestimmungen für Arbeiter und Angestellte vor. Zeitweise war als Alternative die Streichung von Feiertagen diskutiert worden.

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