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Elektronische Grenzschalter sollen bald die aufwendige Einreiseprozedur an den Außengrenzen der EG ersetzen. Wer bereit ist, seine „biometrischen Daten“ preiszugeben, kommt mit Hilfe seiner „Smartcard“ ans Ziel. Von Wolfgang Gast

Hand auflegen, weitergehen

Das Szenario wird zunehmend Wirklichkeit: Ein Flugzeug landet, die Passagiere steigen aus – und ärgern sich. Seit sich die westeuropäischen Staaten mit dem Schengener Abkommen darauf verständigt haben, die innereuropäischen Grenzen abzubauen, sind die Einreisekontrollen an den Außengrenzen der EG drastisch verschärft worden. Wo früher die Grenzbeamten Reisende mit ihren Personalpapieren noch eher lässig durch den Zoll winkten, ab und an nur stichprobenhaft Kontrollen durchführten, wird jetzt penibel geprüft: Ist der Paß gültig, die Person zur Fahndung ausgeschrieben oder will der Ankömmling am Ende nur einen, womöglich noch unberechtigten, Antrag auf Asyl stellen? Die Folgen, die der Mehraufwand bei den Einreisekontrollen beschert, sind gravierend: Warteschlangen am Zollschalter, längere Abfertigungszeiten, und die geschätzten Fluggäste sind genervt.

Doch Abhilfe ist in Sicht. Der EG-Inländer ist in kürze entweder im Besitz einer „Smartcard“ oder eines maschinenlesbaren Personalausweises. Wenn er klug genug war, sich rechtzeitig vor Reisebeginn registrieren zu lassen, dann kann er sich nun bei der Heimkehr die mühselige Prozedur ersparen. Er darf den elektronischen Zollschalter wählen: keine Warteschlange, keine Grenzbeamten, kein Streß.

Zwei Wege stehen dem Europäer künftig für seine privilegierte Einreise offen. Wer die „Smartcard“ besitzt, schiebt das Plastik, so groß wie eine Kreditkarte, in den Schlitz des Grenzcomputers. Wer, wie beispielsweise die Deutschen, über einen maschinenlesbaren Reisepaß verfügt, legt diesen auf die Glasplatte eines Lesegerätes. Anschließend preßt der Einreisende eine Fingerkuppe oder die Handfläche auf ein Abtastgerät, das am Schalter installiert ist. Die „biometrischen Daten“ von Hand oder Finger werden mit einem Laserstrahl vermessen und von der Maschine mit den gespeicherten Angaben verglichen. Stimmen die abgetasteten mit den gespeicherten überein, gilt der Einreisende als der, den das Dokument ausweist. Das Drehkreuz öffnet sich, der Einreisende darf passieren.

Wann automatisierte Grenzkontrollen flächendeckend auf Flughäfen eingeführt werden, ist nur noch eine Frage der Zeit. Verschiedene technische Verfahren werden gegenwärtig in Australien, Kanada und Großbritannien geprüft. In den Niederlanden läuft seit Mitte Februar 1991 ein Pilotversuch mit 200 Geschäftsreisenden auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol, ein ähnliches Versuchsprojekt ist seit dem 1. April diesen Jahres auf dem New Yorker John-F.-Kennedy-Airport in Betrieb. Der „Probebetrieb von Vorrichtungen zur automatisierten Grenzkontrolle“ – so nennt die Grenzschutzdirektion in Koblenz den geplanten elektronischen Grenzschalter – soll Ende diesen, Anfang nächsten Jahres auch auf Europas größtem Airport, dem Flughafen Frankfurt am Main eingeführt werden.

In einem neunseitigen Papier mit dem Titel „Funktion und Verfahren der automatisierten Grenzkontrolle sowie Stand der Einführung“ verweist die Grenzschutzdirektion darauf, daß mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen („SchDüK“) vom November letzten Jahres ein einheitlicher Standard der Grenzkontrolle unter den europäischen Vertragsstaaten vereinbart wurde. Obligatorisch sei damit eine Identitätsprüfung aller Reisenden; Personen, die aus einem Nicht-EG-Land einreisen, unterliegen danach „bei der Einreise darüber hinaus einer weitgehenderen Kontrolle“. Weil nach Inkrafttreten des Abkommens mit einem „erheblichen Mehraufwand bei der Kontrolle“ und einem „Ansteigen der durchschnittlichen Abfertigungszeiten“ gerechnet werden muß, sollen als Service-Einrichtung auf „absolut freiwilliger Basis Vorrichtungen zur automatischen Grenzkontrolle eingeführt werden“.

Nicht nur Rationalisierungseffekte werden mit der neuen Technik angestrebt. Die Kontrollbeamten sollen sich, so der Sachstandsbericht vom 8. Juni, „eher auf polizeilich relevante Passagiere konzentrieren können“.

Das automatisierte Verfahren, das auch von Luftfahrtunternehmen, der internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA, von Flughafenbetreibern und dem Weltverband für Tourismus und Reisen (WTTC) gefordert wird, soll in der Bundesrepublik in zwei Phasen eingeführt werden. In der ersten sind als Teilnehmer nur Staatsangehörige aus EG-Mitliedsstaaten zugelassen. Wenn das System dann installiert und ausgetestet ist, dürfen auch „Drittstaatenangehörige“ den elektronischen Schlüssel für die Festung Europa in die Hand bekommen – aber nur dann, wenn sie aus Staaten „mit keinem oder nur geringem Einwanderungsrisiko“ stammen.

Die technische Seite des geplanten Verfahrens stellt nach Angabe der Frankfurter Flughafen-Gesellschaft kein Problem dar. Ähnliche Identifizierungsverfahren kommen auch in der Industrie, etwa im Zugangsbereich zu Atomkraftwerken, zur Anwendung. Wenn der Probebetrieb in Frankfurt anläuft, sollen zwei „biometrische Identifizierungsverfahren“ getestet werden. In einem Fall wird als Identifizierungsmerkmal der Fingerabdruck verwendet, im anderen Verfahren wird als unverwechselbares Merkmal die „Handgeometrie“ vermessen und in digitalisierter Form gespeichert. Mit dem parallelen Verfahren soll einerseits die „Langzeitstabilität des Handgeometrieverfahrens“ geprüft werden, gestestet wird aber auch, welches der beiden Modelle bei den Reisenden die größere Akzeptanz findet.

Entschieden wird nach einem drei- bis sechsmonatigen Probelauf. Als weitere Planung sieht die Grenschutzdirektion vor: „Bei positiver Grundentscheidung ist die Einführung von Vorrichtungen zur automatisierten Grenzkontrolle auf allen großen Flug- und Seehäfen Deutschlands vorgesehen.“ Vorausgesetzt nur, daß die jeweiligen Flug- oder Seehäfenbetreiber dies auch wünschen und die erforderlichen Einrichtungen installieren und finanzieren.

Ob Fingerabdruck oder Handgeometrie: Beide Techniken setzen voraus, daß die identitätsstiftenden Daten erhoben werden müssen, bevor der Reisende über eine Automatentür den Transitbereich eines Flughafens verlassen kann. Nach den im Bonner Innenministerium entwickelten Vorstellungen soll der Reisende zunächst beim Bundesgrenzschutz, beispielsweise auf einem Flughafengelände, schriftlich den Antrag auf Teilnahme an dem Verfahren stellen. Hierfür hat er sich mit seinem maschinenlesbaren Personalausweis oder Reisepaß auszuweisen und die genannten biometrischen Daten zur Verfügung zu stellen. Diese werden dann zusamen mit Namen, Geburtsort und Geburtstag in einer speziellen Datei gespeichert. Kommt der Reisende später an einen automatischen Kontrollpunkt, werden zuerst die Personaldaten aus dem Reisedokument maschinell gelesen und mit denen aus dem Antragsverfahren verglichen. Zeitgleich kommt es zur Überprüfung im Fahndungsregister. Die eigentliche Identität wird anschließend dadurch geprüft, daß die biometrischen Daten des Einreisenden mit dem früher gespeicherten Datensatz verglichen werden. Stimmen die Informationen überein und ist der Überprüfte im Fahndungsbuch nicht erfaßt, darf er die Grenzkontrolle passieren.

Anders als im Amsterdamer Modellversuch sollen in Frankfurt die erhobenen Daten in einer zentralen Datei erfaßt werden. In den Niederlanden geschieht der Abgleich dadurch, daß die Daten mit denen verglichen werden, die in einem Mikroprozessor auf einer Scheckkarten-ähnlichen „Smartcard“ abgespeichert sind. Mithin hat auf diese Daten, die als Identifikationsmerkmal einer erkennungsdienstlichen Behandlung nahekommen, in den Niederlanden niemand außer dem Kartenbesitzer Zugriff.

Anders beim Frankfurter Modellversuch, den der Datenschutzbeauftragte des Bundestages, Alfred Einwag, in seinem letzten Tätigkeitsbericht im April kritisch beurteilte. Entscheidend sei, so Einwag, „daß die während des Feldversuchs anfallenden personenbezogenen Daten nur für die Personenkontrolle genutzt und nach Beendigung des Versuchs gelöscht werden“. Im Hause des Datenschützers wird davor gewarnt, daß verschiedenste Begehrlichkeiten in bezug auf die neue Datei entstehen könnten. Ereignet sich beispielsweise auf dem Fughafen ein Verbrechen, was liegt näher, als anhand der gespeicherten Daten die in Frage kommenden Personen auszusieben.

Wichtig sei weiter, so schrieb der oberste Datenschützer den Bonner Parlamentariern, ob die behauptete „Freiwilligkeit“ beim automatisierten Verfahren tatsächlich gegeben sei. Konfrontiert mit der wenig erfreulichen Aussicht, an den Abfertigungsschaltern in lange Warteschlangen eingewiesen zu werden, könnte ein „faktischer Zwang“ zur Teilnahme an dem „freiwilligen“ Verfahren entstehen. Einwag beanstandete weiter, daß die Bonner Parlamentarier bislang in Pläne, die vom Innenminister und der ihm nachgeordneten Grenzschutzbehörden verfolgt werden, nicht eingebunden waren. Er „regte an“, die parlamentarischen Gremien über den Feldversuch zu informieren, „weil dieser den zumindest teilweisen Einstieg in eine völlig neue Kontrollpraxis zum Ziel hat.“

Mitarbeiter des „Institutes für Informations- und Kommunikationsökologie“ (IKÖ) in Bremen gehen in ihrer Kritik erheblich weiter. Mit der eingeführten Technologie werde ein Verfahren eingeführt, das umstandlos ausgeweitet werden könne. Reisende könnten flächendeckend überwacht werden. Auch wenn es heiße, die Registrierung nach biometrischen Merkmalen werde nur auf freiwilliger Basis bei Staatsangehörigen von EG-Ländern erhoben – mit der Technik ließe sich auch ganz anderes verwirklichen: etwa die Registrierung von AsylantragstellerInnen. Einmal erfaßt, könnte dann ausgeschlossen werden, daß diese nach Ablehnung ihres Asylantrages unter falschem Namen an anderer Stelle erneut einen Asylantrag stellen. Immerhin habe das Bundeskriminalamt erst vor kurzem mit „AFIS“ ein automatisches Fingerabdruck-Identifizierungssystem in Dienst gestellt, in das jährlich nach Schätzungen des BKA die Abdrücke von etwa 150.000 AsylbewerberInnen und rund 400.000 erkennungsdienstlich behandelter Personen eingegeben werden sollen. 1996 soll AFIS zudem in eine europaweite Fingerabdruckdatei namens „Euro.dac“ überführt werden.

Langfristig, fürchten die Informationsökologen, würden die Daten aller Reisenden erfaßt und zu Strafverfolgungszwecken genutzt. Typisch für Großsysteme wie die geplanten automatischen Grenzkontrollen sei, „daß jeder verdächtig ist, alles kontrolliert werden muß“.

Die Zweifel der Technologiekritiker werden von der Frankfurter Flughafengesellschaft FAG nicht geteilt. Von einem Feldversuch will man dort mittlerweile gar mehr nicht sprechen. Mit der Automatenschleuse, heißt es heute, werde ein neuer Service für die Vielflieger eingerichtet. Die Koblenzer Grenzschutzdirektion dürfte dem zustimmen. Sie erwartet durch den Probebetrieb „eine erhebliche Attraktivitätssteigerung des Flughafens“. Glücklich darf sich schätzen, wer über den elektronischen Schlüssel zur Festung Europa verfügt.

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