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„Weiber taugen nicht zur Reise...“

■ Frauenreisekultur-Forscherinnen: auf der Suche nach Schirmspitzen und Niederschriften / Nicht nur emanzipierte Abenteuerinnen

Weiber taugen wohl zu nichts weniger als zu Entdeckungsreisen; ihre Hauben und Caiüten; ihre Furchtsamkeit und Stürme; ihre Naschhaftigkeit und Salzfleisch und hundert andere Dinge machen sie zum Seedienst schlechterdings untauglich... Das „Lesebuch für die Jugend“ aus dem Jahr 1788 macht keinen Hehl daraus: Die Frau taugt für die Reise als solche schlechterdings nicht. Die Frau gehört zum Heim, während der Mann die Welt er-fährt. Doch was ist das:

Bald hörte man vom Schiffskapitän, daß eine Frau auf dem Schiff sei, und nun betrachtete man mich von allen Seiten. Die Frau auf dem Schiff, im 19. Jahrhundert, ist Ida Pfeiffer — die erste Weltreisende, die ihre Reiseerlebnisse ausführlich geschildert hat. Und eine von vielen Frauen, die die Frage gestellt bekamen: Du bist eine Frau — was willst du hier?

Briefe und Tagebücher, Reiseliteratur und Bildmaterial zeugen davon, daß alleinreisende Frauen sich schon früh aufgemacht haben — nicht, um die Welt zu erobern, sondern sie kennenzulernen. Auf die Spurensuche dieses mehr oder minder abenteuerlichen Stückes Emanzipationsgeschichte machen sich heute Frauenreisekultur-Forscherinnen — Literatur-, Kultur- und Sozialwissenschaftlerinnen. Zum gestern zu Ende gegangenen, ersten großen Arbeitstreffen „Frauen auf Touren — Feministische Ansätze in der Frauenreisekulturforschung“ trafen sich jetzt in Bremen rund 30 Frauenreiseforscherinnen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Seit 10 Jahren gibt es so etwas wie die Frauenreiseforschung — doch die interdisziplinäre Vernetzung steckt noch in den Kinderschuhen. In dem viertägigen Austausch standen die Frauenreisen des 18. und 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt.

Die Wissenschaftlerinnen wollen mehr zutage bringen als die Selbstzeugnisse — die in der männlich dominierten Forschung zudem meist ignoriert wurden. Für Männer und deshalb allgemein schon immer interessant waren die Berichte von weiblichen Orient-Reisenden: die Frauen durften in den Harem hinein, und wenn derart verborgene, womöglich schlüpfrige Geheimnisse gelüftet wurden, trat das Geschlecht der Berichtenden ausnahmsweise in den Hintergrund. „Wir wollen aber ab von den exotisierenden und erotisierenden Veröffentlichungen“, sagt Hildgund Jehle, Kulturwissenschaftlerin aus Köln und eine der Veranstalterinnen. Die Wissenschaftlerinnen wollen auch am Bild der emanzipierten Abenteuerin und Grenzüberschreiterin rütteln: „Es geht uns nicht darum, diesen Mythos weiter zu produzieren“, so die Ethnologin Ulla Siebert. Die Frauen haben das im Weiblichkeitsbild nicht Vorgesehene getan, sie haben teils ungewöhnliche Risiken auf sich genommen — „man muß aber auch den Blick auf die reisenden Frauen mal drehen — und zum Beispiel über Rassismus diskutieren.“

'Als Hausfrau und Mutter in den Tropen. Erlebnisse einer deutschen Hausfrau. Stuttgart 1942': Ich vergesse nie, mit welchem Grausen ich den ersten Fruchtsalat gegessen habe, von dem ich wußte, daß ein schwarzer Koch ihn gemacht hat. Und ich glaube, das ist nicht nur mir so gegangen! Die Vorstellung, daß der Saft der Apfelsine über die schwarzen Hände gelaufen ist, nimmt einem im Anfang den Appetit. Wenn man aber weiß, daß er unter Aufsicht gemacht worden ist, gewöhnt man sich schnell daran und mag ihn nicht mehr missen.

Über die Analyse der Frauen- Reiseliteratur hinaus gehört zur Frauenreisekulturforschung aber auch „das Aufstöbern von alten Koffern, Kutschen, Kleidung und meinetwegen auch der abgebrochenen Speerspitze, mit der eine Reisende einen Schwarzen in die Flucht geschlagen hat“, sagt Doris Jedamski, Literaturwissenschaftlerin und Lehrbeuftragte an der Uni Bremen. Ganz abgesehen von der Klärung so peripherer Fragen wie: Was ist bloß eine Frauenreise? Tat es doch jede anders und auf ihre Art; und wer würde schon von Männerreisen sprechen — mal vom Bumsbomber-Urlaub in Thailand und Kegelclub-Touren nach Mallorca abgesehen... Ist das Reisen von Männern der Weg, die Frauenreise das Ziel?

Eins ist sicher: Die Pionierinnen haben zumindest unbewußte Nachahmerinnen gefunden. In Zeiten, wo das Reisen nicht mehr Reisen, sondern Tourismus heißt und ein Massenphänomen ist, sind 56 Prozent alleinreisende Frauen unterwegs... Susanne Kaiser

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