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Moskau droht Tallinn mit Sanktionen

■ Estlands Regierung verhandelt mit russischer Minderheit über Ausländergesetz / Zunächst kein Generalstreik in Narva

Tallinn (taz) – Der Generalstreik, mit der die russische Bevölkerung der estnischen Provinz Narva gegen das neue Ausländergesetz der Baltenrepublik protestieren wollte, ist zunächst um eine Woche aufgeschoben worden. Erstmals seit Ausrufung der Selbständigkeit fand sich die Regierung in Tallinn bereit, mit RepräsentantInnen der russischen Minderheit politische Gespräche aufzunehmen. Die erste Runde dieser Gespräche endete am Mittwoch mit dem Zwischenergebnis, diese in der kommenden Woche fortzusetzen. Erst danach wollen die russischen Gewerkschaftsvertreter erneut über mögliche Kampfmaßnahmen gegen das neue Staatsbürgerrecht entscheiden. Mit dem Anfang dieser Woche verabschiedeten Gesetz waren rund ein Drittel der BewohnerInnen Estland – und hier vor allem die rund 500.000 RussenInnen – zu Ausländern erklärt worden.

Die überraschende Verhandlungsbereitschaft Tallinns geht offensichtlich auf den starken internationalen Druck zurück. Vor allem Schweden und Finnland, die in Tallinn als „beste“ politische Freunde gelten, hatten das Gesetz kritisiert. Auch innerhalb der russischen Bevölkerungsgruppe ist die Unruhe weiter angewachsen. Täglich finden in Tallinn und anderen Städten Demonstrationen statt. Vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt versammelten sich am Mittwoch mehrere hundert meist ältere RussInnen mit Transparenten, auf denen „Estnische Faschisten“ und „Apartheidgesetz!“ stand.

In Tallinn wurde am Donnerstag eine diplomatische Note Moskaus überreicht, in welcher Rußland sich über die Behandlung der russischen Minderheit beschwert, einen Abbruch des Rückzugs der Truppen der ehemaligen Roten Armee, ein Abbruch der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen sowie Handelssanktionen ankündigt. Bereits am Mittwoch hatte der russische Außenminister Andrej Kosyrew Estland vorgeworfen, den Weg einer Politik der „Apartheid“ und der „ethnischen Säuberungen“ einzuschlagen. Moskau werde sich daher an den Europarat, an die KSZE und den Baltischen Rat wenden. Ein Sonderbotschafter des russischen Außenamts, Alexej Gluchow, wollte noch am Donnerstag zu Gesprächen nach Tallinn reisen.

Die von Moskau angedrohten Handelssanktionen würden jedoch eher zweischneidig wirken: War Rußland noch vor einem Jahr der wichtigste Handelspartner Estlands, so ist dies mittlerweile Finnland. Der Anteil Rußlands am Außenhandel beträgt gerade noch 20 Prozent. Sanktionen würden darüber hinaus gerade die russische Bevölkerungsgruppe treffen, da die Industrie in der Region Narva noch am stärksten auf den Handel mit Rußland ausgerichtet ist. Reinhard Wolff

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