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„Soziale Säuberung St. Paulis“

■ Bezirksamt Mitte contra Friedenskirche / Bezirkssozis verhindern Wohnungsbau und Sozialeinrichtungen Von Kai von Appen

„Wenn ich Voscherau höre - die SPD ist die Partei der sozialen Gerechtigkeit - dann wird mir richtig schlecht. Wie kann ein Politiker nur so lügen!“ Pastor Christian Arndt sitzt die Wut tief im Bauch. Grund: Die Friedenskirche möchte in Abstimmung mit der Jugend- und Sozialbehörde an der Wohlwillstraße in St. Pauli ihre Kindertagesstätte erweitern sowie Sozialwohnungen und -einrichtungen bauen. Doch die Bezirks-SPD sagt: „So nicht!“

Seit 1901 hat die Kirche das Areal Wohlwillstraße/Otzenstraße von der Stadt gepachtet, seit mehreren Jahren befindet sich in einem provisorischen Barackenbau die Kindertagesstätte der Gemeinde. 40 Kids finden hier vormittags Obhut. Arndt: „Ökologisch gesehen ist dieses Gebäude ein Unding. Wir müssen viel heizen, und es regnet rein.“

Und so kam vor zwei Jahren die Idee, an gleicher Stelle - wo mehrgeschossige Bebauung zulässig ist - einen Neubau zu errichten. Und sozial, wie die Friedenskirche nun mal ist, sollen zugleich mehrere Sozialprogramme der Stadt erfüllt werden: Die Kita-Betreuung soll von 40 auf 60 Ganztags-Plätze erweitert, ein Behinderten-Wohnprojekt untergebracht und vier Jugendwohnungen für Obdachlose errichtet sowie Sozialwohnungen für 60 Menschen mit „§-5-Schein“ gebaut werden.

Obwohl aus der Finanzbehörde zunächst Zustimmung signalisiert worden war, das Areal an die Genossenschaft „Schanze“ zu verkaufen, die das Projekt realisieren soll, vertagte die Kommission für Bodenordnung einen konkreten Beschluß auf den 8. Juli. Grund: Der Vertreter des Bezirks Mitte lief gegen das Projekt Sturm. Zum einen fürchten die Bezirks-Sozis, durch die vier Jugendwohnungen weitere „Randgruppen“ in den „problembeladenen Stadtteil“ St. Pauli zu holen. Zudem sollte das Gebäude lediglich mit Mitteln des dritten Förderungsweges unterstützt werden. Folge: Der Mietpreis für die Sozialwohnungen würde sich von rund acht auf zwölf Mark pro Quadratmeter erhöhen.

SPD-Bezirksfraktionsvize Markus Schreiber verteidigt das Vorgehen. Seine Fraktion wolle erreichen, daß eine bessere „soziale Mischung“ zustande komme, zum Beispiel Facharbeiter nach St. Pauli gelockt werden könnten. Schreiber: „Wir wollen, daß der Anteil von Leuten, der Müll aus dem Fenster kippt, nicht weiter ansteigt.“

Pastor Arndt sieht die Sache stärker unter sozialen Aspekten. In seiner Gemeide häufen sich Fälle, daß Alt-St. Paulianer durch Umwandlungen wohnungslos werden. Arndt: „Menschen, die obdachlos werden, werden hier in St. Pauli in den Neubauten trotz §-5-Schein nicht mehr wohnen können, weil sie es sich nicht leisten können.“ Für den Geistlichen ist die SPD-Politik daher eine „soziale Säuberung“. Arndt: „Diese Säuberungspolitik ist aus dem gleichen Geist geboren wie früher die Säuberungspolitik der Nationalsozialisten.“ Arndt gibt zu bedenken, daß die vier Jugendwohnungen mit Leuten aus dem Stadtteil belegt würden.

Das Bezirksamt droht, seine Vorstellungen mit einem anderen Investor zu realisieren und die Kita auf die Straße zu setzen. Arnold Böcker vom Behindertenverein „Op de Wisch“: „Wenn das Projekt platzt, müssen wir wieder bei Null anfangen.“ Denn die Bezirksvorstellungen kann der Verein finanziell nicht realisieren. Arndt: „Wir bleiben bei unserem Konzept. Wir werden dafür kämpfen.“

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