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Nachschlag

■ Voodoo und Tomatensaft im Club Gerard Philippe

Eine Irreführung der Zuschauer fand nicht statt. Denn man hätte wissen können, was von einer als „Theater Performance“ angekündigten Veranstaltung zu erwarten ist: Alles und nichts. Und so haben wir naturgemäß vieles – wie sich im Verlauf des Abends herausstellen sollte: alles – gesehen und leider nichts verstanden. Aber den Verstand sollte man erst gar nicht bemühen bei „Captain's Voodoo Tomatensaft“, der ersten Berliner Produktion der jungen Regisseurin Sigrun Schnarrenberger.

Auf einer offenen Bühne ist eine Bartheke aufgebaut, je zwei Lederhocker stehen rechts und links – ein entzückend symmetrisches, karges Bühnenbild. Am vorderen Bühnenrand sind zwei Mikrofone plaziert. Daneben zwei Monitore, die – wie das Programmfaltblatt androht – „Assoziationen über den Theaterraum hinaus anregen werden. Erlebnisse in Bildern statt Handlung“. Drei junge Männer in eleganten schwarzen Anzügen treten auf. Ihr Pendant: drei adrett gekleidete, selbstverständlich junge, Damen – eine Sängerin, eine Kellnerin sowie, laut Programm und aus welchen Gründen auch immer, Paloma Picasso. Die Bildschirme werden hell. Ein Mensch sitzt auf einem Gartenstuhl und läßt eine Postkarte fallen, immer wieder.

Drei Männer, drei Frauen. Man ahnt schon, worum es geht. Richtig. Sie umarmen, umschlingen, lieben und hassen sich. Sie tanzen und vor allem: sie reden und reden. Schon nach wenigen Minuten verkündet eine Frau, daß sie jemanden kenne, „der über brutalen Sex schreibt“. Ihre Frage: „Würden Sie gerne über Sex schreiben?“ Nein, und sehen wollen wir dazu auch nichts. Es sei denn, Soderbergh führt Regie. Dann tritt ein Mann ans Mikrofon und gibt Geheimnisse seines Trieblebens preis. Auf dem Bildschirm rauscht die Meeresbrandung. Nun erfahren wir endlich, was „Tomatensaft“ bedeutet: „Leben in seiner rohesten Form. Frisch und pur.“ Aha.

Die Fortsetzung: Pantomimische Verzückungen in allen Stadien, Platitüden am Mikrofon, Gesangsparodien. In regelmäßigen Abständen ist der Unterhaltung die Moral beigemischt – Liebe ist ein Tauschgeschäft und in Rio töten Polizisten Straßenkinder. Die Liebe, sie ist noch immer ein unerschöpfliches Thema, auch auf dem Monitor: Ein Bungee-Springer, eine Blüte, Landschaften und immer wieder rauscht der Wildbach.

Doch das Szenen-Potpourri hat auch Perlen. Und selbst das schicke Spiel mit dem Video ist zumindest an einer Stelle des „Stücks“ mehr als visuelles Beiwerk: Der schwule Junge (Peter Werner) ist auf dem Bildschirm als „switchender“ Fernsehzuschauer zu beobachten, der irgendwann bei einem Ausschnitt aus „Tomatensaft“ landet. Ein Spiel mit Zitaten, das für mehr Überraschung sorgt als das Sex-Geschwätz am Mikrofon.

Ganz zum Schluß, kurz bevor der Mensch auf dem Gartenstuhl zur Wahrung des symmetrischen Aufbaus erneut erscheint, ist auf dem Bildschirm zu lesen: Sei positiv. Seien wir positiv: als Theater mißlungen, als Performance geglückt – die Illusionen über Liebe und Laster sind heil geblieben. Stephan Schurr

„Captain's Voodoo – Tomatensaft“ heute abend, vom 1. bis 4.7. und vom 8. bis 11.7. jeweils um 20.30 Uhr im Club Gerard Philipe, Karl-Kunger-Straße 29 in Treptow.

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