: Ohne deutschen Paß in die Partei
■ SPD rekrutiert in Betrieben, CDU will drei Jahre BRD-Aufenthalt
Ach doch, der Bremer Derya Mutlu hätte schon Lust auf eine Bürgerschaftskandidatur. Bislang sitzt der eingebürgerte Türke für die Grünen im Beirat Neustadt. Doch noch sind alle Abgeordneten der Bremer Bürgerschaft gebürtige Deutsche. Bundesweiter Vorreiter könnte dagegen Hamburg werden: Dort nämlich hat jetzt die SPD einen türkischen Einwanderer, den Hochschullehrer Keskin, auf einen sicheren Listenplatz für die bevorstehende Bürgerschaftswahl gesetzt.
Voraussetzung für einen Sitz in Bürgerschaft oder Beirat ist der deutsche Paß. Einfacher kommt man in die Parteien: Die Grünen fragen überhaupt nicht nach der Staatsangehörigkeit; sie haben sogar einen eingebürgerten Türken in den Landesvorstand gewählt, den Sozialwissenschaftler Ebrahim Atakli. Bei der FDP darf man nach einem halben Jahr Wartezeit mitbestimmen. Vor einem Eintritt in die CDU allerdings muß man drei Jahre in Deutschland gewohnt haben und ein Jahr „Gast“ in der Partei gewesen sein.
Wie alle anderen Parteien führt auch die CDU keine Statistik über ausländische oder eingebürgerte Mitglieder. Eine Stichprobe ergibt: Unter den 180 Mitgliedern beim Ortsverband Neustadt ist kein Eingewanderter, weiß Vorsitzender Jörg Jäger. Nun aber eine Werbeaktion zu starten unter dem Motto „Ausländer, kommt in die CDU!“ hält er für völlig verfehlt. In der CDU spreche man eher Bekannte auf eine Mitgliedschaft an.
Ohnehin nicht auf Mitgliederfang geht die FDP, so Pressesprecher Haiko Camphausen. „Die Leute kommen selbst zu uns und fragen nach Informationsmaterial.“ Meist Selbständige; von einem „Gastarbeiter“, der die FDP zu „seiner“ Partei erkoren habe, hat Camphausen nichts gehört. Doch mittlerweile sammelt ein Arbeitskreis Ideen, wie die FDP von sich aus auf ausländische und deutsche MitbürgerInnen zugehen könnte. Vielleicht mit einem Grillfest? Gar in Osterholz, wo die DVU bei der letzten Wahl besonders viele Stimmen bekommen hat? Als zwangloses Treffen stellt sich Camphausen das vor, also nichts mit Traktate-Verteilen oder Eintrittszwang.
Solche Gedanken scheint sich die SPD nicht machen zu müssen: Hier führt der klassische Weg in die Partei über die Betriebsgruppen, also die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA). „In den Betrieben kennt man sich, da spricht man eine Sprache“, begründet Hasso Kulla, Abgeordneter und Betriebsrat beim Bremer Vulkan. Berührungsängste brauche hier niemand zu haben — wie etwa in den Ortsvereinen, wo überwiegend Lehrer und Professoren säßen, öffentlicher Dienst eben. Erfolg dieser Nähe zur Basis: Von den 20 Delegierten, die die Betriebsgruppen in Bremen Nord in den Unterbezirk stellen, sind allein sieben nicht-deutscher Herkunft. cis
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