: Zähne ziehen ohne Betäubung
■ Elsbeth Rütten aus Kroatien zurück / Bericht von der Lage der muslimischen Flüchtlinge in den Lager
Den muslimischen Flüchtlingen an der kroatischen Adriaküste, die sich vor den Greueln des Krieges in Bosnien in Sicherheit gebracht haben, werden erneut vertrieben. Diesmal fliehen sie nicht vor den Serben, sondern werden von den kroatischen Behörden mit Wissen und Billigung der UNO verschoben. Das berichtete gestern die Krankenschwester Elsbeth Rütten von der Gruppe „Bremer Frauen im Krankenhaus“. Eine Woche lang hat Rütten die Flüchtlinge besucht, weil sie am Aufbau einer zahnmedizinischen Ambulanz für die Vertriebenen arbeitet.
Auf einem schmalen Streifen an der dalmatinischen Küste drängen sich die Flüchtlinge. Im Norden und im Süden kämpfen Kroaten gegen Serben, im Osten kämpfen Kroaten gegen bosnische Muslime. Allein in der Region Makaska, die Elsbeth Rütten in ihrem Urlaub besucht hat, sind 17.000 Flüchtlinge untergebracht, zu 70 Prozent sind es Muslime. Nun sollen sie verlegt werden, offiziell, weil die Hotels an der Küste wieder für den Tourismus geöffnet werden sollen. „Ich kann mit nicht vorstellen, daß da jemand im Urlaub hinfährt, wo die Front so nah ist“, sagt Rütten. „Die Flüchtlinge haben furchtbare Angst vor einer erneuten Vertreibung. Entweder sie kommen in ein großes Sammellager an der serbisch-ungarischen Grenze, nach Promajna, oder sie werden nach Pakistan deportiert.“ Sie zeigt Fotos von geschundenen, verzweifelten Menschen, die nicht weiterwissen. Ein weinendes Mädchen: „Das hat den ganzen Vormittag geheult, weil es Zahnschmerzen hatte und es keine Behandlung gab.“
Ärztliche Hilfe für die Flüchtlinge an ihren jetzigen Aufenthaltsort gibt es nur eingeschränkt. Gute medizinische Betreuung kostet Geld — und das haben nur wenige. Das Heidelberger „Komittee Frauenhilfe Bosnien-Herzegowina“ hat deshalb in Tucepi eine gynäkologische und sozialpsychatrische Ambulanz und eine Apotheke eingerichtet. Dem soll nun eine zahnärztliche Ambulanz hinzugefügt werden. Denn in kroatischen Krankenhäusern würden für Muslime keine Schmerzmittel bereitstehen, berichtet Elsbeth Rütten. „Da werden Zähne ohne Betäubung gezogen.“ Und zahnärztliche Hilfe ist dringend notwendig: „Zähne kann man ja nicht verstecken. Fast alle der Flüchtlinge haben Zahnbeschwerden, nicht nur die vergewaltigten Frauen, denen die Kiefer gebrochen wurden.“
Schwere Vorwürfe erhebt Elsbeth Rütten gegen die Politik der UNO und der Bundesregierung in Kroatien. „Die Lkw, auf denen die Flüchtlinge abtransportiert werden, gehörten der UNO. Und vom Büro für humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes in Kroatien habe ich die Meinung gehört, die Flüchtlinge wollten ja selbst weg. Mir gegenüber waren aber alle verzweifelt, wenn sie in das Lager Promajna gebracht werden sollten, weil dort unmögliche hygienische Zustände herrschen. UNO und Bundesregierung tun nichts, um ihre guten Beziehungen zur kroatischen Regieung nicht zu gefährden.“
20.000 Mark hat die Bremer Initiative für die zahnäztliche Ambulanz bereits gesammelt. Nicht genug, um damit die Station aufzubauen und zu unterhalten. Bis Jahresende soll die Ambulanz bei den Flüchtlingen sein. Wo diese dann sein werden, ist noch ungewiß. Elsbeth Rütten will sich dann wieder Urlaub nehmen — freigestellt wird sie für die Arbeit nicht — und nach Kroatien fahren. „Wenn die Flüchtlinge verlegt werden, gehen wir mit.“ Bernhard Pötter
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