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Die Nachbarn in Mölln: Viel gesehen, nichts getan

■ Zeugen beim Prozeß gegen mutmaßliche Mordbrenner / Es brennt, aber von Nachbarschaftshilfe keine Spur

Schleswig (taz) – Da gibt es dieses berühmte Bild von den drei Affen, die sich blind, taub und stumm stellen. So sind die Möllner KleinstadtbürgerInnen ja nun nicht. Sie hören hin, sie beobachten viel, und sie erzählen auch bereitwillig darüber. Nur tun – tun tun sie nichts. Oder fast nichts. Auch nicht, wenn es in ihrer Nachbarschaft brennt und Menschen in Lebensgefahr sind.

Am 17. Verhandlungstag gegen die mutmaßlichen Mordbrenner von Mölln sagen BewohnerInnen der Ratzeburger Straße aus. Dort hatten die Attentäter in der Nacht zum 23. November 1992 die ersten Brandsätze geworfen. Das Haus Nr. 13, nur von türkischen Familien bewohnt, ging in Flammen auf. Doch niemand kam ums Leben. Anschließend fuhren die Täter in die Mühlenstraße und steckten das Haus Nr. 9 an. Zwei Kinder und eine Frau verbrannten. Wegen dieser Verbrechen müssen sich Michael Peters (26) und Lars Christiansen (19) vor dem II. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Schleswig verantworten. Ihnen wird dreifacher Mord, mehrfacher Mordversuch und besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen.

„Ich bin von klagenden Stimmen wach geworden“, berichtet ein Chemotechniker aus der Ratzeburger Straße am Donnerstag dem Gericht. Sein Haus liegt der Nr. 13. genau gegenüber. In der Brandnacht ging er zum Fenster, sah die Flammen. Menschen schrien in dem angezündeten Haus, hasteten zu den Fenstern, versuchten, sich auf die Straße zu retten, Eltern warfen ihre Kinder mehrere Stockwerke tief hinunter. Noch war keine Feuerwehr da. Und der Nachbar? „Rausgehen wollte ich nicht. Außerdem hab' ich ja schon Polizei gesehen.“ Statt dessen beobachtete er, wie sich das Feuer entwickelte und kann darüber genauestens Auskunft geben. Auch an seine damaligen Ängste kann sich der Zeuge noch erinnern. Doch die galten nicht etwa den 32 TürkInnen in dem brennenden Haus, sondern seinem eigenen Heim. Schließlich hätte das Feuer übergreifen können.

Eine andere Nachbarin war durch Gepolter und Geklirre aus dem Schlaf geschreckt worden. Sie hatte nicht sofort reagiert, „denn da drüben war immer mal was los“. Mal Streit, auch mal Prügeleien. Als sie das Feuer entdeckte, half sie mit einer Leiter und später mit Decken. „Denn es war ja kalt“, sagt die Zeugin, „und die Leute hatten nur ihre Nachthemden an und nichts an den Füßen.“ Doch auf die Idee, die Ausgebrannten in ihr Haus zu holen, kam die Nachbarin offenbar nicht.

„Ich bin raus und hab' es mir angeguckt“, erzählt der nächste Nachbar im Zeugenstand. Ob er auch helfen wollte, erzählt er nicht. Dafür antwortet er auf die Frage, ob ein Fenster des Brandhauses mit Pappe verkleidet gewesen wäre: „Das weiß ich nicht. Aber in einem Haus, in dem Türken wohnen, ist das durchaus möglich.“ Die nächste Nachbarin hatte zwar das Feuer entdeckt, noch bevor Polizei und Feuerwehr in der Ratzeburger Straße angekommen waren, doch sie guckte sich das Schauspiel lieber vom Fenster aus an.

Nach den Anschlägen hatten sich die türkischen EinwohnerInnen bitter über die mangelnde Hilfsbereitschaft der deutschen NachbarInnen beschwert. Das wundert nach diesen Zeugenaussagen niemanden mehr.

Nur am Mittwoch war Oberstaatsanwalt Pflieger leicht aus der Rolle gefallen. Christian Ströbele hatte als Vertreter der Nebenkläger einen Antrag gestellt, der dem Vertreter des Generalbundesanwalts extrem gegen den Strich ging. Denn darin sollte das Verhalten der Polizei unter die Lupe genommen werden. Die hatte bei einem Anschlag von Michael Peters auf ein Flüchtlingswohnheim in Pritzier – zwei Monate vor Mölln – alle Beteiligten ungeschoren davonkommen lassen. Ströbeles Schlußfolgerung: „Diese Erfahrung mit dem Verhalten der Polizei in Pritzier kann sich auf das Denken und Handeln der Angeklagten ausgewirkt haben.“ Pflieger: „Ein Bärenprinzip“, sei dieser Antrag, weil er die Angeklagten entlaste.

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