: „Penner haben kein Recht zu leben“
Das Potsdamer Bezirksgericht verurteilt zwei Heranwachsende wegen Mordes an dem Obdachlosen „Penner Schulze“ zu neun und sieben Jahren Haft / Angeklagter bereut nichts ■ Aus Potsdam Anja Sprogies
Nachdem die drei jugendlichen Skins den „Penner Schulze“ zu Tode geprügelt hatten, soll Thomas S., einer der Täter, gegenüber einer Freundin geprahlt haben, „es war ganz lustig“. Blaß und nicht mehr amüsiert nahm er gestern den Urteilsspruch des Potsdamer Bezirksgerichts entgegen: Sieben Jahre Jugendstrafe für Thomas S. (18) und neun Jahre für Daniel K. (17) wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Damit entsprachen die Richter weitgehend dem vorgeschlagegen Strafmaß der Staatsanwältin, die für Thomas S. siebeneinhalb Jahre gefordert hatte und für Daniel K. achteinhalb Jahre. Sie sprach von einem „feigen, fast schon erbarmungslosen“ Vorgehen der beiden Täter.
Beide Verteidiger hatten auf Totschlag plädiert. Die Höchststrafe für Mord im Jugendstrafrecht beträgt zehn Jahre. Strafmildernd wirkte der Umstand, daß die Angeklagten zur Tatzeit erheblich angetrunken waren. Gegen Marco W., den dritten Täter, wird ab September gesondert verhandelt. Bereits am ersten von insgesamt drei Verhandlungstagen gestanden die beiden Angeklagten, am 7. November 1992 den Obdachlosen Rolf Schulze getötet zu haben. Sie wollten „Penner verscheuchen, Frust ablassen“, sagte der kahlgeschorene Daniel K. selbstbewußt gegenüber dem Gericht. Nach einem Disco-Besuch gingen die drei Jugendlichen Daniel K., Marco W. und Thomas S. bewaffnet mit Messern und Baseballschlägern „auf Patrouille“ über den Bahnhof Schönefeld. Dort trafen sie auf den 52jährigen Stadtstreicher „Assi- Schulze“, der schon mehrmals zuvor von rechten Skins verprügelt worden war. Unter einem Vorwand lockten sie den Obdachlosen in ein zuvor geklautes Auto und fuhren zum Kölpinsee (Kreis Brandenburg). Noch im Auto beschlossen die drei, „den Penner umzutreten“.
Mit einem mißglückten Karatetritt, Daniel K. rutschte aus, begann das langsame Sterben des Rolf Schulze. Wütend über seine eigene Ungeschicklichkeit trat Daniel K. mit seinen stahlbeschlagenen Springerstiefeln auf den wehrlos am Boden Liegenden ein. Auch die anderen begannen, Schulze zu schlagen und zu treten. „Jeder hatte zwanzig Tritte frei“ wurde ausgemacht. „Geschrien hat er nicht, sich gewehrt ein bißchen“, beschrieb Thomas S. mit leiser Stimme Schulzes Verhalten.
Nach übereinstimmender Aussage der beiden Angeklagten holte Marco W. dann eine fünf Kilo schwere Propangasflasche aus dem Kofferraum. „Mindestens drei Mal wurde die Gasflasche auf Schulzes Kopf geschlagen“, schätzte die Staatsanwältin Marianne Böhm. Die Täter können sich an die Anzahl der Schläge mit der Flasche nicht mehr erinnern. Dem nicht genug. Daniel K. zog den Bewußtlosen an das Seeufer und drückte seinen Kopf mit dem Stiefel unter Wasser. „Drei bis fünf Minuten“, schätzte Thomas S. Anschließend holte Marco W. einen Benzinkanister aus dem Auto und übergoß Schulze. Thomas S. gestand, den bereits Toten mit einem Feuerzeug angezündet zu haben.
Gerichtsmediziner Jörg Semmler unterscheidet in seinem Gutachten drei Phasen des Tathergangs: das Schlagen, Ertränken und Verbrennen. „Jede Phase ist schon für sich als sehr brutal zu bezeichnen.“ Der Sachverständige fand 30 Verletzungen am Körper des Opfers. Sie reichen von Prellungen bis zu Platzwunden und Quetschungen, nahezu ausschließlich im Kopfbereich. Nach den Schlägen mit der Gasflasche hätte Schulze noch gelebt, attestierte der Mediziner. Der Tod sei erst später eingetreten, als Daniel K. den Kopf des Opfers unter Wasser drückte. Auch der Versuch, das Opfer zu verbrennen, hätte, so der Sachverständige, „zu 70 Prozent zum Tode geführt“.
Lässig zurückgelehnt folgt Daniel K. den Ausführungen des Gerichtsmediziners. Ab und zu kneift er seine Augen zusammen und spielt mit beiden Händen am Oberlippenflaum. Er will sich wichtig machen, cool sein, keine Rührung zeigen, wenn er sie denn überhaupt verspürt. Sich vor den zahlreichen Freunden im Gerichtssaal nicht blamieren. Seine Antworten fallen knapp aus. Oft sagt er: „Es könnte sein, ich kann mich nicht mehr genau erinnern.“
Zur Tatzeit war Daniel K. Mitglied in der inzwischen verbotenen „Nationalistischen Front“. Bereits seit dem 13. Lebensjahr liebäugelte er nach eigenen Angaben mit faschistischem Gedankengut. Aufgewachsen ist er zwischen Vater, Mutter und Großmutter. Wer zur Tatzeit gerade das Sorgerecht für ihn hatte, konnte der 17jährige nicht sagen. Mit 13 wurde Daniel K. in ein Heim für Schwererziehbare eingeliefert.
Der Gerichtspsychologe Eckhard Littmann attestierte Daniel K. Geltungsstreben und dominantes Verhalten. „Er will Macht über andere ausüben.“ Weiterhin stellte er eine „gesteigerte Aggressionsbereitschaft“ fest. „Emotionale Defizite“ im Verhalten des Täters rührten, so der Psychologe, aus der mangelnden Zuwendung von seiten des Elternhauses. Auch nach der Abbüßung der Haftstrafe sei es nicht auszuschließen, „daß K. wieder kriminell wird“.
Ganz anders als der dominante, selbstbewußte Daniel K. verhält sich sein Kumpan auf der Anklagebank, Thomas S. Er ist blaß und beantwortet kaum hörbar die Fragen von Richter und Staatsanwältin. Ein betroffenes, reumütiges Kind. Wohlbehütet im Elternhaus aufgewachsen, schließt er geordnet Schule und Lehre ab. „Er hatte kaum Probleme in seinem bisherigen Leben“, stellte die Gerichtspsychologin Heide-Ulrike Jähnig fest. Er verläßt sich auf die Fürsorge der Eltern, ist leicht beeinflußbar. Mit der politischen Wende kam es zum Wandel seines persönlichen Umfelds. „Rechts sein wurde chic.“ Thomas S. schloß sich der rechten Szene an, hielt aber auch an anderen Bezugsgruppen außerhalb der Szene fest. Seine Freundin hatte beispielsweise Angst vor „Glatzen“. Die Ursache dafür, daß sich der „junge Mann“ an der grausamen Tat beteiligte, sieht die Psychologin in einer „Kombination aus Gruppendynamik und Alkohol. Hätte er den Obdachlosen allein am Bahnhof getroffen, wäre bestimmt nichts passiert.“
Thomas S. bereut inzwischen die Tat, steht aber nach wie vor hinter dem rechtsradikalen Gedankengut. Daniel K. hat sich bis jetzt noch nicht eindeutig von der Tat distanziert. „Solche Menschen haben kein Recht, unter der strahlenden Sonne zu leben“, meint er auch heute noch.
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