: Kritik muß möglich sein
■ Premiere von „Arbeit macht frei“ des Theaterzentrums Akko beim Sommertheater
Die Ausgangslage der Produktion „Arbeit macht frei vom Toitland Europa“ des Theaterzentrums Akko ist heikel, wenn nicht prekär. Denn die Thematisierung der Widersprüchlichkeiten und der tragisch-schrecklichen Wendungen, die die Bearbeitung des Holocausts in Israel mit sich geführt hat, in Deutschland aufzuführen, verlangt enormen Mut und Vertrauen. Mut, in Israel als Nestbeschmutzer zu gelten, der rücksichtslos die Gefühle der Überlebenden der Shoa im Täterland zur Schau stellt, und Vertrauen in die differenzierte Wahrnehmung und ein unverfangenes Reaktionsvermögen bei den deutschen Zuschauern. Dieses Hochspannungsverhältnis prägt die Produktion von David Maayan und führt zu bewußten Überschreitungen moralischer Empfindungen, zu stilistischen Mitteln, die die innere Rebellion gegen schmerzliche Tabuverletzungen wecken und eine schnelle qualitative Beurteilung verwehren.
Die Produktion beginnt mit einer Busfahrt zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Dort schließt sich an eine kurze inszenierte Gedenkfeier ein Rundgang durch das Dokumentenhaus an. Hier wird die schleichende Verzerrung der heilen Weltbilder eröffnet. Israelische und deutsche Stereotypen in Bezug auf die Dokumente der Shoa werden Schritt für Schritt auseinanderdividiert. Die typisiert-gründliche Erklärungsmaschinerie voller peinlicher Lapsi der Führerin, die stets an der Kippe zwischen informierter Aufrichtigkeit und Postbeamtinnen-Jargon längslaviert, erhält durch die sich langsam entpuppende Behandlung der Dokumente als Fetische durch eine israelische „Besucherin“ und Überlebende der Konzentrationslager eine absurde Dynamik. Die peinliche Rücksicht gegenüber dem „Opfer“ bleibt selbst dann noch bestehen, wenn die ältere Dame rassistische Witze über Zigeuner erzählt oder stur von der „Schönheit“ der KZ-Utensilien spricht, die man in Israel leider nicht hätte.
In den Katakomben hinter den Deichtorhallen findet der zweite Teil statt. Unter einem Wachtturm, von dem aus Dokumentarfilmausschnitte auf den Boden geworfen werden, liegt die „Besucherin“ aus Neuengamme auf dem Boden und versucht sich manisch ihre KZ-Nummer vom Arm zu reiben. Sie begleitet fortan die 30 Besucher durch verschiedenen Räume.
In einem vernebelten Stacheldrahtgeviert, dessen Decke mit Aufnahmen von KZ-Häftlingen und Nazi-Zeitungen tapeziert ist, fährt auf einem quadratischen Kiesplatz eine Spielzeugeisenbahn. Im provozierenden Tonfall selbstgenügsamer Pädagogik spricht die „Überlebende“ jetzt über die meditativ-historische Bedeutung von Zügen und das Unwissen israelischer Kinder, die Hitler mit Ben Gurion gleichsetzen. Im Hintergrund zeigen Monitore Ausschnitte aus Claude Lanzmanns „Shoa“-Film und von den jährlichen Gedenkfeierlichkeiten zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust in Israel. In Schuluniformen mit Judenstern vollzieht die Gruppe die Riten solcher Feierlichkeiten mit dem sabotierenden Unwillen gezwungener Kinder.
Durch ein rostiges KZ-Tor betritt man einen engen dunklen Gang. Unter Mengen aufgehängter Schuhe wird man aus dem Dunklen zu dem eigenen Wissen über den Holocaust befragt. Anschließend wird man in der claustrophobischen Enge eines ein Meter hohen Raums Zeuge rassistischer Nachbarschaft-Streits zwischen Arabern, Juden und Äthiopiern, wobei das lauteste Argument ist: „Wir haben den Holocaust überlebt!“. Zu Gast bei einem chauvinistischen Soldaten der israelischen Armee, der neben israelischem Nationalismus nichts gelten läßt, wird Essen und Trinken gereicht und eine sehr ambivalente Atmosphäre gemeinsamen Feierns erzeugt. Schließlich endet der fünfstündige Abend in einem orgiastischen Wahnwitz aus Selbstkasteiung und Showelementen.
Was David Maayan und seine Gruppe mit dieser gewaltätigen Distanzüberbrückung, deren zwingende Berechtigung man stets empfindet, gelingt, ist das Verhältnis einer festgefahrenen Haltung zu ihren Ursachen zu klären, ohne neue Festlegungen zu treffen. Das hierzu im ersten Schritt nur das Mittel der Verstörung tauglich ist, wird jedem Gast der Produktion drängend offenbar. Gerade in der unleugbar vorhandenen Täter-Opfer-Atmosphäre, die bei einer Aufführung in Deutschland sofort entsteht, wirken die Mittel zwischen Recherche und Überzeichnung auf eine Überprüfung der eigenen Haltung hin, ohne nach Schuld und Scham zu fingern. Die Genauigkeit der Provokationen und die offene Selbstkritik geben dabei dieser Produktion ihre mutige Größe und Seltenheit. Till Briegleb
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