: Ganz normale Spießer
■ betr.: "Nehmt das nicht hin!", taz vom 10.7.93
betr.: „Nehmt das nicht hin!“, taz vom 10.7.93
[...] In früheren Jahren – ich bin seit Anfang der siebziger Jahre politisch aktiv – habe ich sogar manchmal Verständnis für Eure Wut auf das Kapital gehabt. Auch mein politisches Engagement gilt dessen demokratischer Überwindung. Mit der Zeit wurdet Ihr jedoch immer vernagelter!
Als herauskam, daß vielen von Euch mit Hilfe der Stasi sogar Unterschlupf in der Spießbürgerlichkeit der DDR gewährt wurde – Stasi = Struktur wie Gestapo, nachzulesen in Kogons „Der SS- Staat“ –, wurde mir Eure ganze Armseligkeit klar. Für mich seid Ihr daher ganz normale Spießer, die ein gefährliches Herrenmenschendenkpotential in sich beherbergen. Ich kann es Euch nicht mehr abnehmen, daß Ihr gegen Unmenschlichkeit und für Menschenrechte kämpft. Eure Sprache verrät Euch, Ihr seid neidisch und kleinkariert!
Eure Augen sind nach wie vor verschlossen gegenüber dem, was mit den Menschen in der Ex-DDR und den osteuropäischen Ländern geschehen ist. Wenn Ihr in Eurem Brief treffend bemerkt „Der Kapitalismus geht über Leichen“, so verrät dieser Satz Euer Pharisäertum, übrigens auch das vieler sogenannter Linker. Daß auch der reale Sozialismus über Leichen geht [...], zählt in Euren Köpfen natürlich nicht.
[...] Aktuell kann nachvollzogen werden, wer in Deutschland die natürlichen Partner der Schwarzen und der Braunen sind. Sind es nicht Eure alten Freunde aus dem Herrschaftsapparat der SED und den Blockparteien? Arbeiten sie nicht wunderbar mit den von Euch so bekämpften Kapitalisten zusammen? Dies nicht nur in Deutschland. [...] Ihr könnt niemandem mehr etwas vormachen, von wegen, für Menschlichkeit und Menschenrechte kämpfen wollen, es werden nur die von Euch definierten, eigenen Herrenmenschenrechte sein! [...] Anne Mentzen, Bremen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen