Richtiges Signal an die falsche Gruppe

■ betr.: "Der Brief von Eltern eines RAF-Mitglieds", taz vom 13.7.93

betr.: „Der Brief von Eltern eines RAF-Mitglieds“,

taz vom 13.7.93

Sehr schön, der Brief der Eltern auf der Titelseite. Auf etwas Ähnliches hat Ulrike Meinhof mal geantwortet: „Leckt mich doch bitte am Arsch.“ Bei der politisch-juristischen Unfähigkeit, diesen Kriminalfall zu lösen (und sollte Scharping tatsächlich seine Hand dabei im Spiel haben, kann sich die SPD einen neuen usw.), ist das das falsche Signal. Oder vielmehr das richtige Signal an die falsche Gruppe. Soll ein Verbrecher, Mörder etc. zur Aufgabe überredet werden, muß man ihn von der Sinnlosigkeit seines Tuns überzeugen.

Also, Herr Beamter von der GSG 9: es hat doch keinen Zweck, sich noch länger zu verstecken. Geben Sie auf! Sie machen doch alles nur noch schlimmer. Denken Sie mal an Ihre Familie! Und Ihr Gewissen, die Zukunft! Seien Sie doch kein Narr, niemand wird sie ewig decken. Winfried Redeke, Karlsruhe

Schön moralisch geredet. Aber wo ist die Kommunikation mit dem „verlorenen Sohn“? Sie wird wieder aufgenommen, wenn er bereut. Vor allem auch den Schmerz, den er der eigenen Familie antat, indem er flüchtete!

Ist es nicht so bei all uns Vatermördern der 68er Folge? Was trieb uns aus dem Haus, die Welt besser zu machen, weil wir gegen die Eltern unsere Aggressivität nicht äußern durften/sollten? Eben der Erziehungsauftrag: „Sei besser als die anderen“. Aggressivität war nur erlaubt den noch besseren Autoritäten Eltern, die ihr Recht dazu aus der heiligen Moral zogen. Jetzt waren wir besser, mußten deshalb einsam – nie gemeinsam – kämpfen, waren aber auch von 30 Jahren Aggressivität voll. Wo konnten wir sie loswerden. Nur im Auftrag der Gerechtigkeit. Erziehungsauftrag Moral ernst genommen und radikal aus der Familie auf die Welt übertragen: das hieß Terrorismus. Da kann es keine Rückkehr in die Bravheit des Familienzusammenhangs geben, nur die endgültige Kapitulation des Sohnes vor der lieben Familie.

Aber es ist etwas anderes möglich: die wirkliche Lösung von der Familie als Sprung aus der Erziehung. Das erfordert eine schwere Arbeit (auch hier kann man wieder „Elite“ sein): sich vom Griff in den Nacken befreien, der uns aus dem Haus gestoßen und in die Spur geworfen hat, von der wir glaubten, es sei unser Weg. Sich umdrehen und in die Zuchtanstalt blicken, die wir so süß verbrämen, nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Und in uns das ganz und gar nicht „große“, zurechtgeformte Kind erkennen. Dann erst können wir sehen, was mit uns angestellt wurde und was wir angestellt haben.

Daß die Flugblätter und Bomben, die wir warfen, die Entladung einer ganz anderen Gewalt war als die, die von der Unterdrückung der Völker ausging. Daß wir eben doch auch brav waren, als wir ganz bös waren. Keine/r will Opfer sein, es sei denn er/sie könne daraus das Recht ziehen, Täter/in, Rächer/in zu sein. Es gibt nicht den Weg zurück in die Family oder ins Brave, aber vielleicht die Möglichkeit, sich selbst als Opfer zu erkennen und dieses Gefühl wütend/trauernd zu äußern. Dann erst wird der Blick frei für Welt und Mensch, für sich selbst. Dann erst wird Trauer und Reue möglich. Vielleicht auch kaum gekannte, nicht erlaubte, mit Angst besetzte, fühlende Liebe. Es gehört viel mehr dazu, als gut oder lieb sein. Dank an Alice Miller, wenn ich sie recht verstanden habe. Klaus Wachowski, Berlin