: Makellose Hülle für Kunst
■ Dosenfabrik: Noch keine Ateliers, aber schon ein Kunstraum
Was macht Industrieräume zum Ort für Kunst? Der andere Blick, neue Objekte oder ganz einfach eine weiße Wand? Die Dosenfabrik in der Stresemannstraße wird in ein kulturelles Zentrum umgebaut. Als eine der ersten Aktivitäten hat die Spanisch-Deutsche Künstlergruppe Linde-Ludena-Sierra künstlerische Interventionen in die zentrale Halle eingebracht. Die plastischen Qualitäten von Räumen sind seit Jahren ein Hauptinteresse der Lübeckerin und der beiden Spanier. Sie arbeiten für die Realisation ihrer Vorstellungen eng mit Industrie und Handwerk zusammen, sei es, daß für die Lübecker Petri-Kirche eine Sägerei Restschwarten einer Buche spendierte oder 1991 für K 3 auf Kampnagel LKW-Planen und Baugerüste ausgeliehen wurden.
In der weitläufigen Fabrik in Bahrenfeld hat Almut Linde angesichts der Umbausituation den industriellen Nutzungsspuren eine klar umgrenzte Kunstzelle entgegengesetzt. Reinweiß und erhellt von vier Deckenstrahlern bietet sich ein Segment der Halle als makellose Hülle für mögliche Kunst dar. Die äußere Wand- und Stützkonstruktion ist dabei zugleich Grenze und Symbol der Arbeit am Material und am schönen Schein. Noch verwirrender als die Reste der Industrienutzung zeigt das stützende Skelett die Mühe, die nötig ist, ein Umfeld für Kunst zu erstellen. Zwischen angebeizten Stützbalken und dunklen Spanplatten leuchtet der Eingang in den strahlend hellen Raumkasten wie ein Tor zur verheißenen Seligkeit hervor. Mehr als dieser Rahmen kann aber auch nicht geboten werden, der Inhalt des Traumes ist Künstler und Betrachter selbst überlassen.
Manuel Ludena ist im Künstlerteam derjenige, der am stärksten mit Industriematerial arbeitet. In den künftigen Atelierräumen hat er mit Hilfe der Firma MAN-GHH Logistics drei Elemente eines Turmkrans in die Halle gezwängt. Die für starke senkrechte Belastungen gebaute Struktur ist fast waagerecht gelagert. Dabei verbleibt den roten Elementen auch in solcher Position schlafend eine Dynamik, die den immerhin ziemlich großen Raum noch zu sprengen scheint.
Santiago Sierras Projekt war die Dislocation von Asphaltflächen von der Straße in die Fabrik, die Rückgewinnung des plastischen Wertes eines Teils unserer Autobahnen, die in Hinsicht auf Kosten und Wertvorstellung die horizontalen heutigen Kathedralen sind. Doch Sierras Hinweis auf die Dynamik des außenräumlichen Verkehrs und seine räumliche Verkehrung scheiterte an zu zahlreichen Vorschriften.
Alle diese Kunst ist ohne die Mitarbeit eines gut funktionierenden Apparates aus der Arbeitswelt nicht realisierbar. Auch erschließen sich die Arbeiten über ästhetische Wahrnehmung nur zum Teil. Wesentlicher Aspekt ist der theoretische Hintergrund, in dem die Künstler von dem Philosophen Juan Manuel Forte unterstützt werden, dessen Texte sie konsequent in ihren Katalogen veröffentlichen. Es gelingt der Gruppe beispielhaft, den schweren Orten ehemaliger Warenproduktion leichtere Ideen zum visuellen Konsum gegenüber zu stellen und Zeichen für die nachindustrielle Gesellschaft zu finden, in der mit Mieten für Künstlerateliers und Architektenbüros mehr Geld zu verdienen ist, als mit der Produktion von Blechdosen.
Hajo Schiff
Stresemannstr. 374, (Diebsteich), Mi-So 16-20 Uhr, bis 1. 8.
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