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Geheimwaffe gegen Fahrplanfrust

■ Software für den ÖPNV: Auskunft auf Diskette statt HVV-Schmöker. Von Florian Marten

Wochenende. Drei Fahrräder und drei Menschen planen einen Wochenendausflug in die Fischbeker Heide. Ein kurzer Blick zum Bücherschrank und auf den pfundigen HVV-Fahrplan genügt. Nein. Nicht wieder HVV. 24 Minuten saß man letztes Mal am Dammtor und wartete vergeblich auf eine öffentliche Beförderung nach Neugraben. Diesmal wird der neue Fahrradgepäckträger auf dem Autodach eingeweiht. Ein Parkplatz wird sich schon finden.

Partyende. Ein nervöser Blick zur Uhr signalisiert: Der letzte Bus ist jetzt wohl endgültig weg. Nachtbusse? Aber wo und wann fahren die? Den Kopf voller Rosé reicht es gerade noch zum Telefonieren. „Das Taxi“ wird besorgt. Schon nach 20 Minuten ist einer da. Kurz darauf sind 20 Mark futsch,und der Dieselruß rußt.

Jede Sekunde fallen in Hamburg zig Entscheidungen gegen den ÖPNV und für das Auto. Nicht wenige davon aus mangelnder Information über die öffentliche Alternative. Untersuchungen des Verkehrsverhaltens haben längst ermittelt, daß Autofahrer die am wenigsten flexiblen Verkehrsteilnehmer sind. Das Münchner Institut Socialdata hat jetzt in einer Offset-Druckmaschinen-frischen Studie herausgefunden, daß für 32 Prozent aller Autofahrten in Ballungsgebieten eine reale und zumutbare ÖPNV-Alternative besteht.

Bei ihrer Suche nach Gründen stießen die Münchner ForscherInnen auf einen interessanten Sachverhalt: Während die realen Fahrzeiten bei dieser Alternative im Durchschnitt bei 20 Minuten fürs Auto und 32 Minuten für den ÖPNV liegen, vermuten die Befragten, die Autofahrzeit wäre erheblich geringer - 15 Minuten , die des ÖPNV erheblich länger - 43 Minuten. Mangelhafte Information und systematische Fehlbeurteilung, so die Münchner, bremsen die Nutzung von Bussen und Bahnen, ganz besonders im Einkaufs- und Freizeitverkehr.

Ein Hamburger Informatikspezialist hat dies Dilemma falscher Fahrzeitenschätzung und mangelhafter Information intuitiv durchschaut - und für PC-BesitzerInnen auf vorbildiche Weise gelöst. Christian Deike wollte „schon immer etwas für einen vernünftigeren Verkehr tun“ und hat es getan. Sein PC-Programm „METRO“ ist eine höchst effektive Geheimwaffe gegen Fahrplanwirrwarr, Nachtbusgeheimnisse und Fahrzeitillusionen. Der rasende Polit- und Verkehrsreporter der taz (jährlich ca. 20.000 km mit Fahrrad und HVV) hat die erste Metro-Version für den Winterfahrplan 1992/93 monatelang getestet - und ist schlicht begeistert.

Auf Tastendruck spuckt das Programm HVV-Verbindungen zwischen eingegebenen Haltestellen inklusive aller Umsteigepunkte aus. Man kann die Gehgeschwindigkeit beim Umsteigen eingeben (zwischen Beamen und Schnecke), zwischen der Bevorzugung möglichst schneller oder möglichst umsteigearmer Verbindungen wählen, sich alle möglichen Verbindungsalternativen zeigen lassen ... Das Programm ist kinderleicht zu bedienen, komfortabel, ausgesprochen übersichtlich und präzise auf die Benutzung realer HVV-KundInnen zugeschnitten und - soweit die taz es beurteilen kann - fehlerfrei (selbst Wochenende, Feiertage und Schulferien werden berücksichtigt).

Größter Nachteil der Erstversion war die Beschränkung der Linien: METRO enthielt nur S- und U-Bahn sowie einige Nahverkehrszüge. In der zweiten Version, die mit dem Sommerfahrplan 1993 herausgekommen ist, finden sich jetzt alle wichtigen Buslinien: Neben Nacht- und Schnellbussen sind die Linien des vom HVV sogenannten „10-Minuten-Takt-Netzes“ berücksichtigt; zum Beispiel die vom taz-Reporter bevorzugten Busse 102, 106, 108, 109, 111 und 113. Die komplette Eingabe aller Buslinien - für folgende Programmversionen nicht ausgeschlossen - unterblieb bislang. Kein Wunder: Das in Eigeninitiative und ohne kommerziellen Auftrag entstandene Programm erforderte das eigenhändige Eintippen aller Fahrplandaten.

Wen diese Einschränkung nicht stört (Vorteil: der Speicherplatzbedarf ist noch sehr bescheiden, das Programm geradezu sensationell schnell), und wer Zugriff auf einen PC oder, noch passender, ein Notebook hat, erhält kein Spielzeug, sondern funktionsfähigen Gebrauchswert für die vernünftige Verkehrsmittelwahl.

Das Programm METRO ist zu beziehen für public-domain-verdächtige 19,90 Mark (Diskette plus Handbuch!) bei Christian Deike, Tel. 491 13 19, sowie bei der taz hamburg - siehe nebenstehnden Coupon. Auf Wunsch zeigt Christian einem, wie man zusätzliche weitere Buslinien für den privaten Bedarf eingibt.

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