: Wahlkampf -betr.: "Eine GAL mit Herz und Schmerz", taz vom 17.7.1993
Betr.: „Eine GAL mit Herz und Schmerz“, taz vom 17. 7. 1993
Schön, daß die GAL erwachsen geworden ist. Schade, daß sich die softigen Herzbuben und -mädels in der Wahlkampfkomission der Grünen schon so offensichtlich im Senilitätsstadium befinden. Das abgebildete Plakat jedenfalls verströmt den miefigen Charme eines frommen Kalenderblattes. Mit abgegriffener Symbolik im Kartoffeldruckdesign unterbietet es weit den grafischen Standart, den in meiner Verantwortung vor Jahren ein Holger Matthies, internationaler Spitzenstar unter Plakatkünstlern, für die GAL einmal erreicht hat. Sein bekanntes Plakat „Einbruch in die Männerwelt“ - zarte Frauenhände hängen einem Jünglingstorso eine Pappnase vors Gemächte - hat noch immer Sammlerwert. Heiß begehrt schon damals, gab es 1986 den Wahlkampfschwerpunkt „Frauenliste“ sinnlich ironisch zugespitzt - ein sensationelles 10,4 Prozent-Erfolgsimage, das heute - folgt man den taz-Bericht - offenbar gefühligem Hintergrundraunen gewichen ist. Wie der vorhandene politische Veränderungswille der GAL damit zum Ausdruck gebracht werden soll, bleibt ein mit 500.000 Mark wahrlich zu kostspieliges Geheimnis ihrer Werbeagentur. Mit warmsanften Sprüchen aus dem Matratzenlager sind heute weder JungwählerInnen noch zornig-verdrossene Wahlabstinenzler zu gewinnen. Ein Wahl-“Kampf“, der diesen Namen verdient, wird mit diesem Konzept nicht sinnfällig, geschweige denn in der Parteibasis initiiert.
Ich fürchte, das grüne Herz der Sympathie wird unter dieser Wahlkampfleitung nur schwach und auf den gewohnt gemütlichen Oppositionssessel schlagen. Wem diese Gefahr nicht reicht, sollte sich wenigstens auf ein Kostenpakekt gefaßt machen, das schwerer abzubauen sein wird als die sinn- und lustlos aufgestellten Plakatschilder. Mein Rat: Erstattet der GAL-Agentur sofort die Unkosten; für ein neues Konzept sollte es noch nicht zu spät sein. Merke: „Nur sanft sein heißt noch nicht gut sein“ - vielleicht verhilft ja diese Warnung des alten Ernst Bloch noch zum Umdenken.
Paul Nellen, GAL-AK Kultur
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