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Bunte Mischung statt grauer Uniformen

Serie: Umland-Utopien (10. Folge): Einst hielt die Stasi vom Kesselberg aus Funkkontakt mit Agenten in aller Welt, nun legt Neu-Zittau dort Grundsteine für einen dezentralen Wirtschaftskreislauf  ■ Von Gerd Nowakowski

Ein wenig schwingt der Frust bei Hartmut Wolter schon noch mit. „Hätten wir das Gelände damals einfach besetzt, dann hätten wir jetzt keinen Ärger mit der Treuhand“, sagt der Bürgermeister von Neu-Zittau. Damals, das war im Sommer 1990. Und das Gelände ist die ehemalige Sendezentrale der Staatssicherheit auf dem Kesselberg, von der aus der strenggeheime Funkverkehr mit den DDR-Agenten in allen Winkeln der Erde geführt wurde. Gleich daneben wurde an einer nachgebauten Mauer mit Grenzstreifen geübt, wie man Flüchtlinge niederschießt.

Drei Zaunkreise schützten damals die 54 Hektar große Anlage, die Tag und Nacht bewacht wurde und deren innerster Zaun noch elektrisch geladen war, als im Sommer 1990 die neue Zukunft für die geheimnisvolle Spionagezentrale schon Gestalt anzunehmen begann. Immer noch ragt der fast vierzig Meter hohe stählerne Mast in den Himmel, immer noch ist der Kesselberg übersät von Antennenmasten und weitflächigen, kunstvollen Drahtgeflechten. „Gespickt mit Antennen wie ein Igel“ sei der Berg, flachst Jürgen Scholz, Gemeindevertreter aus Neu-Zittau und hauptberuflich Umweltberater für den Kreis Fürstenwalde.

Ökologisches Zentrum im Kommandantenhaus

Die wildesten Gerüchte weben sich um die Anlage, die durch eine abhörsichere Leitung direkt mit dem Stasi-Hauptquartier in der Normannenstraße verbunden war, erzählt Scholz, der dem Bündnis 90 angehört. Er erlebte zusammen mit Hartmut Wolter, wie auf dem Kesselberg noch alles seinen sozialistisch geregelten Gang ging, als die DDR schon in den letzten Zuckungen lag. Nur mit viel Mühe erhielt das damalige Bürgerkomitee im Sommer 1990 Zugang zu dem Gelände – ferngehalten freilich von der Sendezentrale.

Heute residiert das Büro des „Ökologischen Zentrums Kesselberg“ im ehemaligen Kommandantenhaus. Bei ihrem ersten Besuch sei hier noch die Computerleitstelle gewesen, wo die Decodierer arbeiteten. Nur durch Zufall sei ihnen bekanntgeworden, daß der Funkverkehr mit den Agenten noch im vollem Umfang lief, als alle schon glaubten, die Anlage sei abgeschaltet. „Die hatten Schalttafeln voller blinkender Lämpchen wie im Raumschiff Enterprise“, sagt Jürgen Scholz.

Heute weht auf dem Kesselberg ein anderer Wind. Einer, der nicht nur die Rotoren der Windkraftanlagen in Bewegung bringt. Kesselberg ist Teil eines eigenständigen und dezentralen Entwicklungsweges für die Gemeinde Neu-Zittau, das nahe der östlichen Stadtgrenze von Berlin idyllisch am Rande der sumpfigen Spreewiesen liegt. Statt der grauen Militäruniformen ist auf dem Gelände nun eine bunte Mischung eingezogen. Über hundert Menschen arbeiten hier derzeit in verschiedenen Projekten. Es braucht nicht den Blick vom hohen Sendemast, um die Veränderung zu sehen. Am auffälligsten sind die zahlreichen kleineren Windkraftanlagen, die ihre Flügel in den Himmel recken.

Riesige Rotoren sollen den Stasi-Turm überragen

Noch sind die meisten dieser Windkraftanlagen Schaustücke. Doch schon bald werden drei vierzig Meter hohe Anlagen den noch blickbeherrschenden Stasi-Turm überragen: wenn die riesigen Rotoren sich drehen, wird hier Strom für mindestens siebzig Einfamilienhäuser erzeugt, erzählt Helga Wolter. Die Chemie-Ingenieurin, die mit ihrem Mann seit über zwanzig Jahren in Neu-Zittau lebt, ist ebenfalls auf dem Kesselberg beschäftigt.

Auf dem heutigen Schulungszentrum sind die Platten einer Photovoltaikanlage zu sehen, die zusammen mit einer eigenen Windkraftanlage den gesamten Strombedarf des Gebäudes deckt. Dicht daneben auf dem langgestreckten Dach liegen die Sonnenkollektoren für eine Warmwasserversorgung. Allein 85 ostdeutsche Ingenieure und Akademiker sind als ABM-Kräfte für die Firma Atlantis tätig und entwickeln die gesamte Palette von regenerativen Energietechniken und Einsparkonzepten. Hier werden Windkraftanlagen ebenso projektiert wie Blockheizkraftwerke und Abwasseranlagen.

Es bleibt aber nicht nur bei der Denkarbeit: Begonnen hat in einer neu eingerichteten Werkstatt bereits die Produktion von Windkraftanlagen. Quer im Raum liegt langgestreckt das geschweißte Skelett, das später der Turm einer Anlage sein wird. Die Hammerschläge, mit denen die Schweißnähte gesäubert werden, dröhnen durch die Halle und mischen sich mit dem schrillen Qietschen eines Bohrers, der sich durchs Metall frißt. Der grelle Blitz des elektrischen Schweißbogens irrlichtert an den Wänden entlang. Es riecht nach heißem Metall. Einhundert kleine Windkraftanlagen werden hier gebaut, erzählt der rauschebärtige Atlantis-Geschäftsführer Gerd Hampel. Er kommt von der Westberliner Muttergesellschaft und ist nach seinen Worten „der einzige Wessi“ auf dem Kesselberg. Gegenwärtig sei man bereits in der Phase, die Ingenieure und Techniker auf ein Leben nach der ABM einzustellen und sie zu eigenständigen Firmenausgründungen zu ermutigen. Diese Unternehmen, so die Idee, sollen aber eingebunden bleiben in das Entwicklungszentrum Kesselberg.

„Statt Knete unseren eigenen Grips eingesetzt“

Atlantis arbeitet nicht von ungefähr auf dem Kesselberg mit. Bewußt sei er kurz nach dem Mauerfall zu dem Unternehmen nach Westberlin gegangen, weil er sich sicher war, von „den Alternativen nicht über den Tisch gezogen zu werden“, erzählt Hartmut Wolter. Der grauhaarige Bürgermeister gehörte zur Wendezeit dem Bürgerkomitee an. Dessen damalige Arbeit war offenbar für die Neu- Zittauer so überzeugend, daß das Bündnis 90 bei den Kommunalwahlen mit 56 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erhielt. Damals wurde die Idee für einen anderen Entwicklungsweg geboren, der eben nicht in der Sackgasse von leerstehenden Gewerbeparks enden sollte, sondern auf die eigenen Kräfte setzte – und auf die Möglichkeiten, die die Stasi-Zentrale barg. „Wir hatten zwar keine Knete, aber wir haben unseren Grips eingesetzt“, resümiert Wolter. Die Widerstände, die auf diesem Weg zu überwinden waren, übergeht er gerne. Er gibt aber zu, er sei den Neu-Zittauern oft „zu weit vorne weg“ gewesen mit seinen Plänen.

Lange war anzukämpfen gegen den hartnäckig festgehaltenen Traum der Neu-Zittauer vom West-Investor, der sichere Arbeitsplätze schaffe, ist dagegen später von Helga Wolter zu hören. Abgebaut hätten sich die Vorbehalte erst in dem Maße, als der Traum vom bequemen Weg zum neuen Arbeitsplatz an den negativen Erfahrungen der umgebenden Gemeinden zerschellte und das Ökologische Entwicklungszentrum Kesselberg Gestalt annahm, mehr wurde als bloß eine fixe Idee des Bürgermeisters.

Das gute Wasser aus dem Stasi-eigenen Brunnen

Zwei Jahre nach dem Beginn ist das Vorläufige allerorten noch sichtbar, doch viele Projekte sind auf den Weg gebracht. Neu-Zittau ist als eine von wenigen DDR-Gemeinden nicht an eine zentrale Wasserver- und -entsorgung angeschlossen. Das soll sich bald ändern: Die Bewohner werden künftig mit dem guten Wasser aus dem Stasi-eigenen Tiefbrunnen versorgt. Projektiert ist auch eine große Pflanzenkläranlage, die Abwässer der Gemeinde aufbereiten soll. Mit dem Strom aus den Windkraftanlagen sollen die Schule, die Kindertagesstätte und die Straßenlaternen gespeist werden.

Wolters Ziel ist es, einen dezentralen Wirtschaftskreislauf in Gang zu bringen. Dieser soll den Menschen in Neu-Zittau Arbeit bringen und dem regionalen Handwerk neue Chancen eröffnen. Bereits jetzt stammen fast siebzig Beschäftigte auf dem Kesselberg aus der näheren Umgebung.

Neben dem Werkstattgebäude schweißen Jugendliche an einer Schrottplastik. Ein rotes Autowrack liegt wie ein auf dem Rücken liegender Käfer auf einem großen Haufen von alten Autofelgen. Davor stemmen junge Männer mit dem Preßlufthammer ein Loch in den Beton: In das freigelegte Erdreich wird der Baumpate Ben Wargin seine Gingko-Bäume pflanzen. Die Jugendlichen, die das Kunstobjekt zusammen mit einer zu Besuch weilenden irischen Jugendgruppe bauen, gehören zum Ausbildungsprojekt des Kesselbergs. Fünfunddreißig Jugendliche, die zuvor niemals Arbeit oder Ausbildung hatten oder die Lehre abbrachen, werden in Hauswirtschaft oder als Gas-Wasser-InstallateurIn ausgebildet.

Der Hilferuf nach Potsdam gilt als Rettungsanker

Weitere Arbeitsplätze werden geschaffen, wenn der Bau eines Niedrig-Energie-Hauses beginnt. Architekt Hilmar Wittler hat das Haus projektiert, dessen Südfront vollkommen verglast ist, um mit einer Wärmefalle das Haus zu beheizen. Dort, wo jetzt noch der Stasi- Schrott rostet, soll für rund 3,5 Millionen Mark das Haus mit Seminarräumen und vielfältig nutzbaren Werkstattflächen entstehen.

Doch um die Pläne umzusetzen, braucht es Geld. Da aber kommt die Treuhand ins Spiel. Solange nämlich der Kesselberg nicht Eigentum des Ökologischen Zentrums ist, sondern nur für fünf Jahre kostenlos gepachtet, gibt es keine Kredite von den Banken. Die Treuhand aber will 2,6 Millionen Mark für das Gelände haben – ein „unmöglicher Preis“, empört sich der vollbärtige Wolter, der inzwischen aus dem Bündnis ausgetreten und fraktionslos ist. Nun wird weiter verhandelt – doch „uns drückt die Zeit“. Schließlich soll in diesem Jahr neben den drei Windkraftanlagen auch noch ein Blockheizkraftwerk eingebaut werden, um die Gebäude zu beheizen und gleichzeitig Strom zu erzeugen. Nötigenfalls müsse nun das Ehrenmitglied des Kesselberg-Vereins helfen. Man könne sie jederzeit anrufen, habe die brandenburgische Ministerin Regine Hildebrandt (SPD) versichert. Bisher, so sagt Hartmut Wolter und hofft das auch für die jetzigen Gespräche mit der Treuhand, „ist das nie nötig gewesen“.

Kontakt: Ökologisches Zentrum Kesselberg, Wernsdorfer Straße, 15537 Neu-Zittau

Die Serie wird am Freitag in einer Woche fortgesetzt.

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