Palästinensischer Delegationschef Abdel Schafi für PLO-Reform

■ Kritik an starrer israelischer Position in Nahostgesprächen

Tel Aviv (taz) – Seit Monaten schon findet innerhalb der PLO eine Zerreißprobe über die Frage statt, ob sich die Palästinenser weiterhin an den Nahostverhandlungen beteiligen sollen. Zu den Befürwortern eines temporären Ausstiegs aus den Gesprächen gehört der Chef der palästinensischen Delegation, Haider Abdel Schafi, aus Gaza. Der 74jährige Arzt, vor dreißig Jahren einer der Mitbegründer der PLO, wird allgemein als erfahrener Staatsmann mit ungewöhnlicher Zivilcourage und wegen seiner persönlichen Integrität geschätzt. Weit über den Gazastreifen hinaus genießt er das Vertrauen der Palästinenser. Auch viele Israelis sind von dem unabhängig-linksliberalen Volkstribun positiv beeindruckt, der keiner PLO-Fraktion angehört.

Schon seit einiger Zeit spricht Abdel Schafi von der dringenden Notwendigkeit einer „Demokratisierung der PLO“ und fordert eine „kollektive Führung“, welche die politischen Gruppen in der PLO wirklich repräsentiert. Von seinen Kritikern in Tunis und Jerusalem wurde das ausgelegt, als fordere er den Rücktritt des PLO-Vorsitzenden Arafat. „Darum geht es nicht“, widersprach Schafi kürzlich, „Arafat kann weiter an der Spitze stehen, wenn wir eine demokratische PLO-Führung haben. Aber es geht nicht an, daß Arafat im Namen der PLO allein entscheidet.“ Die Demokratisierung der Führungsstrukturen soll auch die PLO-Finanzen endlich in Ordnung bringen. Seinen Vorschlag hat er Arafat bereits persönlich unterbreitet. Wirkung hatte das keine, und so wandte sich Abdel Schafi am 10. Juli mit einem „offenen Brief“ an die palästinensische Bevölkerung.

„Der Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung der Palästinenser mit sich selbst ist jetzt gekommen“, schrieb Schafi, „das palästinensische Volk muß vor allem Antwort auf die Frage finden, weshalb es in all diesen Jahren so viele Niederlagen erlitten hat. Um aus früheren Fehlern zu lernen, ist ein nationaler Dialog zu führen. Wir müssen dringend unsere ungenutzten Potentiale mobilisieren. Das geht nur, wenn die Palästinenser eine Führung und Institutionen haben, die auf demokratischer Basis stehen, und an deren Beschlüssen alle politischen Gruppierungen beteiligt sind.“

Haidar Abdel Schafi sah die völlige Bewegungsunfähigkeit der 10. Nahostrunde im Juni richtig voraus und beteiligte sich schon vorher nurmehr zögernd an den Gesprächen, die ihm bei der bisherigen Verhandlungsführung und völlig einseitigen Haltung der USA aussichtslos schienen. Als klar wurde, daß US-Außenminister Christopher dem israelischen Ministerpräsidenten Rabin entgegenkommt, um die Sicherheitsratsresolution 799 über die sofortige Rückkehr der in den Südlibanon deportierten 400 Palästinenser zu umgehen, war ihm das eine Warnung. Trotz der Entscheidung der Palästinenser, nur bei Einhaltung dieser Resolution durch Israel an den Verhandlungstisch zurückzukehren, wurde unter amerikanischem und arabischem Druck dann auch bei der PLO-Führung in Tunis umdisponiert. Die Delegation unter Abdel Schafis Führung sah sich danach trotz des unerfüllt gebliebenen UN-Beschlusses gezwungen, die Verhandlungen wiederaufzunehmen. Auch andere Delegationsmitglieder, die sich im übrigen an der größten PLO-Fraktion, an Arafats „Fatah“, orientieren, teilen Abdel Schafis Kritik und unterstützen seine Forderungen. In einer Rede am vergangenen Freitag verlangte Schafi, daß das Problem des israelisch besetzten und annektierten Ostjerusalem vor allen anderen Fragen geregelt werden sollte. Der Friedensprozeß sei zum Scheitern verurteilt, wenn Israel in der Jerusalemfrage auf seiner Position beharre.

Die PLO-Führung in Tunis und ihre inoffiziellen Vertreter in Jerusalem haben natürlich wenig Sympathie für die Haltung von Abdel Schafi, wollen aber einstweilen eine direkte Konfrontation vermeiden. Denn da Abdel Schafi mit seiner kritischen Haltung vor allem in den besetzten Gebieten viel Unterstützung genießt, könnte dies zu einer für die Führung der „Fatah“ ungünstigen Spaltung im palästinensischen Lager führen. Amos Wollin