Wendekreis des Käfers

■ Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen vier zu VW gewechselte Manager

Berlin (taz) – Die Affäre Lopez scheint nun doch zum VW-Fall zu werden. Die Darmstädter Staatsanwaltschaft hat das laufende Ermittlungsverfahren gegen den Volkswagenmanager Ignacio Lopez und seinen engsten Mitarbeiter Manuel Guturriez auf zwei weitere VW-Angestellte ausgeweitet. General Motors und das deutsche Tochterunternehmen Opel werfen den Abtrünnigen vor, bei ihrem überstürzten Wechsel geheime Papiere zu VW mitgenommen zu haben. Opel hat Strafantrag gegen insgesamt acht zur Konkurrenz gewechselte Manager gestellt. Auch gegen ihre Beschäftigung bei der Konkurrenz vor Ablauf eines Jahres will Opel klagen; dies widerspreche den Arbeitsverträgen.

Die beiden Mitarbeiter, deren Namen nicht genannt werden, hatten bis zum 22.3.93 bei der Opel AG gearbeitet und sind an diesem Tag zur Volkswagen AG übergewechselt. In ihrem Wiesbadener Anwesen im Stadtteil Beckenheim hat die Staatsanwaltschaft am 22. Juni 93 vier Kisten mit Dokumenten sichergestellt. Bei den Papieren, Dias und Folien handelt es sich offenbar um Unterlagen der Opel AG und ihrer Konzernmutter General Motors, teilte die Behörde gestern mit. Angeblich sollen die Dokumente, die aus dem technischen Entwicklungszentrum von Opel stammen, nur den Spitzenvertretern des Managements zugänglich gewesen sein.

Nicht nur Informationen über die technischen Einzelheiten und das Aussehen der neuen Modelle ab 1995, insbesondere den Kleinwagen O-Car, sollen darin beschrieben sein. Vor allem enthalten sie angeblich Angaben über Verkaufsstrategien, Werkzeuge, Zuliefererpreise und Kosteneinsparungsmöglichkeiten. „Ein Teil der Folien und Dias soll auf ausdrücklichen Wunsch des Beschuldigten Dr. Lopez hergestellt und in die deutsche Sprache übertragen worden sein“, heißt es in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Sie hat in den letzten Wochen eine Reihe von Zeugen vernommen und versucht nun, das Material anhand der Aussagen zu bewerten. Weiter vorankommen in ihren Ermittlungen wollen die Staatsanwälte jetzt vor allem durch die Befragung von VW-Mitarbeitern. „Die wertvollen neuen Erkenntnisse bestätigen nachhaltig unsere Besorgnis, daß leitende VW-Mitarbeiter geheime Opel-Dokumente in ihrem Besitz haben“, frohlockte Opel-Vorstandsmitglied Horst Borghs gestern.

Der Wechsel von Lopez und den anderen Managern von General Motors bzw. Opel zu VW in Wolfsburg und die ihnen unterstellte Industriespionage wirft viele Fragen auf. Lopez, der seinen Schreibtisch in Detroit stehen hatte, war für den weltweiten Einkauf des Konzerns zuständig. Nachdem er zum ersten Mal gekündigt hatte, versuchte General Motors, den baskischen Manager mit einem besseren Vertrag zu halten. Angeblich genau an dem Tag, an dem seine Kontraktverlängerung öffentlich verkündet werden sollte, rauschte er ab zu VW für ein Supergehalt – amerikanische Zeitungen berichten von 32 Millionen Mark über drei Jahre. Bei seinem alten Arbeitgeber, wo er als berüchtigter Knebeler der Zulieferfirmen für Millioneneinsparungen beim Einkauf gesorgt hatte, soll er ein leeres Büro hinterlassen haben. Noch am Vortag soll er in Rüsselsheim an einer Opel-Konzerntagung teilgenommen und sich dabei bemüht haben, Kopien von geheimen Unterlagen zu bekommen.

Dieses nicht gerade unauffällige Verhalten gibt zu vielen Spekulationen Anlaß. Manche unken sogar, daß es sich bei der ganzen Aktion um einen großen Coup gegen VW handele. In jedem Fall dürfte der Schaden für den Wolfsburger Konzern enorm groß sein. abe/aje