: Karlsruhe rügt Oldenburger Justiz
■ Oberlandesgericht verhängte achtmonatige U-Haft ohne Grund
Das Oldenburger Oberlandesgericht hat eine „grundsätzlich unrichtige Auffassung von Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der persönlichen Freiheit“. Das mußten sich die höchsten Oldenburger Richter jetzt vom Karlsruher Bundesverfassungsgericht sagen lassen. Anlaß: Die Oldenburger Justiz hatte vier mutmaßliche Drogendealer über acht Monate lang ohne wichtigen Grund in Untersuchungshaft sitzen lassen.
Nachder Festnahme am 12. November 1992 hatte die Oldenburger Staatsanwaltschaft am 26. Februar '93 relativ zügig die Anklageschrift vorgelegt. Doch dann begann die Schlamperei des Oberlandesgerichts: Der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer unternahm in der Sache nichts mehr bis er am 29.3. in Urlaub und direkt anschließend auf eine Tagung der Richterakademie fuhr. Davon zurückgekehrt ließ er sich noch einmal drei Wochen Zeit, um dann schließlich im Mai den Beginn der Hauptverhandlung auf den 4. August festzulegen.
Eine Entschuldigung für die überlange U-Haft mochte das Verfassungsgericht darin allerdings nicht sehen: „Das Oberlandesgericht übersieht, daß die zeitweise Abwesenheit des Vorsitzenden einer weiteren Bearbeitung des Strafverfahrens nicht entgegensteht“, heißt es in seinem Beschluß, „gerade für diesen Fall ist durch die Vertretungsregelung im Geschäftsverteilungsplan Vorsorge getroffen und daher die weitere Sachbehandlung möglich und gewährleistet.“ Und das vom Oldenburger Gericht ebenfalls ins Feld geführte Problem der Akteneinsicht für alle Verteidiger wischten die Karlsruher Richter mit der Bemerkung vom Tisch, die „Anlegung eines Aktendoppels“ sei im Zeitalter des Kopierers „in der Regel möglich und zumutbar“.
Nach dieser Ohrfeige aus Karlsruhe kam inzwischen Schwung in das Verfahren, und die vier Angeklagten wurden aus der U-Haft entlassen.
Bereits im Februar 1992 hatte sich das Bremer Oberlandesgericht in einem ähnlichen Fall ebenfalls die Mißachtung des Freiheits-Grundrechts vorwerfen lassen müssen. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht die über einjährige U-Haft eines 21jährigen Kurden scharf gerügt. Seit dieser höchstrichterlichen Ohrfeige ist die Bremer Justiz vorsichtiger im Verlängern von Untersuchungshaft geworden. Ase
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