: 18leipzig/einundleipzig – war da was?
Vergebliche Spurensuche nach dem Wilhelminismus aus Anlaß der Ausstelllung Anton von Werners im Deutschen Historischen Museum / Wim Wenders falsche Fährte zur Friedensgöttin ■ Von Christian Semler
Obwohl seit Wolf-Jobst Siedlers Klage um die „gemordete Stadt“ Berlins Gründerzeit-Fassaden wieder im prächtigen Putz erstrahlen; obwohl Militaria Höchstpreise erzielen und sich Hunderttausende von Besuchern bei Tagen der „Offenen Tür“ an neuestem Kriegsgerät delektieren – von einer Renaissance des Wilhelminismus kann im neuvereinten Berlin keine Rede sein. Gewiß, die gleichzeitig plumpe und herausfordernde Attitüde des „Wir sind wieder wer“ ist dem Regierungspersonal nicht fremd. Aber zwischen den Insinuationen, mit denen Bundeskanzler Kohl im fernen Bonn mal amerikanische Juden, mal renitente Österreicher überzieht, und Kaiser Wilhelms Äußerungen zu vergleichbaren Themen klafft doch der Abgrund zweier verlorener Weltkriege. Die heutigen Deutschen fürchten eben doch etwas mehr als nur Gott auf der Welt.
Dies verkannt zu haben, war der größte Fehler der Anarcho- Gruppe, die anlässlich des Golf- Kriegs 1991 damit drohte, die Berliner Siegessäule in die Luft zu sprengen. Den (verhinderten) Attentätern war das Bauwerk, mit dem der Sieg über den französischen „Erbfeind“ nach 1871 gefeiert wurde, ein Schandmal imperialen Geltungsdrangs. Der Zorn der Attentäter galt zwar in erster Linie der Siegesgöttin, die auf der Säulenspitze schwebt. Aber sie hätten auch keineswegs den Mosaiken Anton von Werners, des Berliner Historienmalers, nachgetrauert, die – am Säulensockel befindlich – den Sieg über die Franzmänner darstellten. Den Berliner Autofahrern hingegen, die die Siegelssäule täglich umkreisten, war Herr von Werner wurscht und über die Victoria saßen sie einem Irrtum auf: durch Wim Wenders „Himmel über Berlin“ fehlgeleitet, behaupteten sie dreist, bei der erwähnten Dame auf der Säulenspitze handle es sich um einen Friedensengel.
So unbewußt und der historischen Zusammenhänge unkundig wie im Fall der Siegessäule erweisen sich die Einwohner Berlins auch gegenüber den Straßennamen, die vom Sieg der deutschen Waffen im 70/71er Krieg künden. Davon legen die links-alterniven Bürger des Prenzelberg Zeugnis ab. Sie, die verrückterweise nach dem Prager 68er-Vorbild die Straßenschilder schwärzen (um die Touristen-Okkupanten zu foppen), sind noch nie auf die Idee verfallen, die Schilder der Belfort-, der Metzer-, der Wörther- der Weißenburger- oder der Straßburgerstraße auf gleiche Weise zu traktieren. Woraus folgt, daß ihnen der Sinn dieser Straßenbenennungen nach wie vor verborgen bleibt.
Es hilft nichts, alle Anstrengungen behördlicherseits haben dem Triumph der Deutschen im 71er Jahr auch nur das kleinste Plätzchen im Kollektivgedächtnis retten können. Und das, wo Kriegserinnerungen in diesem Fall pädagogisch Nutzen stiften könnten. Denn Sedan und Metz sind weit genug entfernt von der Massenschlächterei des Ersten Weltkriegs. Damals krachten noch die Vierzigpfünder, und Kürassiere mit gezogenem Degen stürmten überschaubare Hügelstellungen. Das sinnliche Moment des Krieges, um das wir seit den klinisch- sauberen Schlägen der Intervention am Golf gebracht sind, hier wäre es erlebbar und das ohne schädliche politische Nebenwirkungen. Wir haben gewonnen, ohne es an Fairneß gegenüber einem schlaff-dekadenten Gegner fehlen zu lassen, der heute noch dazu unser Freund ist.
Waren es Erwägungen dieser oder verwandter Art, die Dominik Bartmann dazu brachten, eine Ausstellung Adolf von Werners, des schon erwähnten Großmeisters der Schlachtenmalerei, im Zeughaus zu veranstalten? Zwar werden Werners Großformate geradezu weihevoll inszeniert, und durch das ganze Unternehmen weht auch nicht der schwächste Luftzug kritischer Distanz, wenn man von dem einzigen qualitätvollen Bild der Ausstellung, Pierre Lagardes zu Vergleichszwecken präsentierten „La Retraite“ von 1902, absieht. Aber die Apotheose Werners geschieht nicht um der volkspädagogischen Wirkung willen (s.o.) sondern – um den genius loci zu feiern. Schließlich fanden, nachdem der große Museumsmensch Ludwig Justi die Nationalgalerie von ihnen säuberte, wenigstens ein Teil der Militärschinken im Zeughaus eine angemessene Zufluchtsstätte.
Dominik Bartmanns Arbeit erschöpft sich aber nicht in „Rekonstruktion“. Sein Ehrgeiz zielt dahin, uns mit der Frage nach „Wahrheit und Ideologie“ im Werk Werners zu konfrontieren. Der Meister selbst, romantischen Überhöhungen von Schlacht- und Hofszenen abhold, verstand sich strikt als Dokumentarist. Ein früher Photorealist sozusagen, aber mit einer Wirklichkeitsauffassung, die sich stets nach den Wünschen von allerhöchster Stelle richtete. Schließlich konnte er bei der Kaiserproklamation zu Versailles, die festzuhalten er überraschend herbeigerufen worden war, keinerlei Skizzen machen: er mußte Beifall klatschen. Fernab stehend und ohne Kenntnis der näheren politischen Begleitumstände nahm er lediglich war, daß die Zeremonie rasch und lustlos durchgezogen wurde. Kein Wunder: bis kurz vor Beginn des Festakts war es nicht klar, ob Wilhelm mit dem Titel Deutscher Kaiser (was er ablehnte), Kaiser der Deutschen (gefiel ihm auch nicht) oder Kaiser von Deutschland (gefiel den Fürsten nicht) anzureden wäre. Max von Baden, auserwählter Sprecher der deutschen Fürsten, löste das Problem schließlich auf geniale Weise, indem er schlicht ein Hoch auf Kaiser Wilhelm ausbrachte. Werners erste Fassung der „Proklamation“, die im Berliner Schloß hing und den Zweiten Weltkrieg nicht überlebte, entsprach einem sorgfältigen Proporz der beteiligten Offiziere und Zivilisten, vor allem aber der Fürsten, die auf der (im Bild angehobenen) Galerie dem Kaiser huldigten. In der zweiten Fassung des Bildes, der Zeughausfassung, die ebenfalls im Zweiten Weltkrieg unterging, werden Wilhelm I. und Bismarck, jetzt mit einem weißen Koller angetan, zuungunsten der deutschen Fürsten in den Mittelpunkt gerückt. Einzig erhalten ist die Friedrichsruher Fassung der Proklamation, die Bismarck zum 70. Geburtstag geschenkt wurde und die die gegenwärtige Ausstellung schmückt. Hier, in diesem für Werners Verhältnisse kleinformatigen Bild, trägt Bismarck den Orden „Pour le Merité“, der ihm erst 1884 verliehen worden war und sein Freund, der General von Roon, der im Spiegelsaal nicht anwesend war, ist mit von der Partie, weshalb der Händedruck zwischen einem bayrischen und einem preussischen General aus Platzgründen nicht mehr berücksichtigt werden konnte. All diese für das Verhältnis von Ideologie und Wahrheit einschlägigen Beobachtungen sind in den Studien des Katalogs sorgfältig ausgebreitet, spielen aber in der Präsentation der Ausstellung überhaupt keine Rolle. Was hätte dagegen gesprochen, die verlorengegangenen Bilder nach Photographien zu kopieren und damit den Besucher ein weiteres Mal in Verwirrung zu stürzen? Hätte man nicht in einer kleinen Ecke des Spiegelsaals August Bebel Platz nehmen lassen können ? Wäre Dominik Bartmann seinem guten Vorsatz treu geblieben, die Vorstellung des Wernerschen Werkes und seiner Varianten hätten sich zu einer Frühgeschichte massenwirksamer Bildmanipulation aufwerten lassen. Denn es war die Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles, die die Phantasie des Wilhelminischen Menschen verzauberte und die – bis auf den heutigen Tag – in den Schulbüchern der Nation für das historische Ereignis steht.
Aber was heißt schon Ereignis und wer, bitte, war Herr von Bismarck? Lassen wir die einschlägigen, deprimierenden Umfrageergebnisse beiseite. Und beruhigen wir uns, aus dem Zeughaus ins Freie tretend, mit der Sicherheit, daß der geschichtliche Mythos, zumal der in Bildern festgehaltene, auf uns Deutsche keinerlei Anziehungskraft mehr ausübt. Wir folgen nur noch dem Fixstern, der über Sindelfingen strahlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen