: Schwule im Stadtpark mit Nachtsichtgerät gejagt
■ Homosexuelle geraten ins Visier der Rechtsextremen / Auch Einrichtungen und Feste der Szene bedroht / 1992 wurden dem Überfalltelefon 200 Attacken gemeldet
Der Drohbrief an den homosexuellen Mann aus Mecklenburg- Vorpommern war unverblümt: „Wir glauben kaum“, so die offenbar rechtsextremen Autoren, „daß sich überhaupt noch einmal deutsche Jungs mit Dir einlassen, denn wir werden sie von ihrem Irrweg abbringen“. Der Empfänger lebt seit Erhalt des Schreibens, dessen Absender er nicht kennt, wie viele homosexuelle Männer und Frauen in Deutschland in Angst vor der wachsenden Gewalt von rechts. Nach Ausländern, Juden und anderen Minderheiten geraten auch Schwule und Lesben ins Visier gewalttätiger Neonazi-Trupps.
Zwar waren Angriffe auf Treffs schwuler Männer in öffentlichen Parkanlagen schon in der Vergangenheit keine Seltenheit. Das Überfalltelefon für Homosexuelle in Berlin registrierte im vergangenen Jahr mehr als 200 Fälle, in denen homosexuelle Männer in Parks verprügelt, ausgeraubt oder regelrechtem Psychoterror ausgesetzt waren. Die Täter schlugen zu, „weil sie die schwulen Männer für leichte Opfer halten“, meint Jürgen Nehm vom Vorstand des Bundesverbandes Homosexualität (BVH). Motiv war zumeist Habgier, gepaart mit latentem Homosexuellen-Haß. Inzwischen hat sich das Bild der „Schwulenticker“ und ihrer Attacken aber gewandelt: Statt der nächtlichen Einzelgänger sind immer häufiger Einrichtungen und Veranstaltungen der Szene das Ziel der Angreifer. „Die schwule Identität gerät mehr und mehr ins Visier der Rechten“, beschreibt Nehm die Situation.
Im Juni brachen die Veranstalter des „Christopher Street Day“ ein abendliches Konzert im Freizeitpark „Wuhlheide“ vorzeitig ab, nachdem sich in der Nähe 500 Neonazis versammelt hatten. Die waren in einem nahegelegenen Gebäude offiziell zwar zu einem rechtslastigen „Liederabend“ zusammengekommen, doch die Mitarbeiter des Berliner Überfalltelefons sehen einen eindeutigen Zusammenhang mit der schwul-lesbischen Fete. Denn die angeblichen Sangesfreunde streiften mit Walkie-Talkies und Nachtsichtgeräten durch die Büsche der Wuhlheide und bedrohten die Besucher des Christopher Street Day.
Aufgeschreckt worden waren die Mitarbeiter des Überfalltelefons durch ein Flugblatt, in dem die Autoren mit erstaunlichem Wissen über die schwule Szene aufwarteten. Die beiden Unterzeichner „Mike und Rudi“ hatten sogar öffentlich zum Treff in einen nahegelegenen Jugendklub aufgerufen, bei dem Aktionen gegen die internationale Homosexuellen-Fete geplant werden sollten: „Diese Schwulen gehören aufgemischt, wie es die Kameraden früher auch gemacht haben“, hieß es in dem Flugblatt.
Zwar kommen die Täter nicht immer aus der rechten Ecke: Ein schwules Pärchen aus Treptow wurde monatelang von Anwohnern tyrannisiert, bevor die Nachbarn ihnen eines Tages die Tür eintraten. Aber die wachsende Homosexuellen-Phobie besonders unter Jugendlichen steht wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge in engem Zusammenhang mit rechten Tendenzen und Ausländerhaß. In einer Befragung der Uni Potsdam, die eine erschreckend hohe Gewaltbereitschaft Jugendlicher gegenüber Ausländern zutage förderte, stimmte ein Viertel der Befragten der These „Nieder mit den Schwulen“ zu. „Homosexuelle“, so die Wissenschaftler von der Potsdamer Uni, „gelten als zusätzliche Verunsicherung in einer Lebensphase, in der die meisten ihre sexuelle Identität herausbilden“.
Bastian Finke, Leiter des Berliner Überfalltelefons, weiß von „wachsender Beunruhigung“ in der Homosexuellen-Szene zu berichten. Während bei den Telefon- Beratern vermehrt Anfragen nach Selbstverteidigungskursen eingehen, bemüht sich Finke ebenso wie der BVH um eine politische Strategie. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit der Polizei. Obwohl die Berliner Ordnungshüter seit einigen Jahren einen Schwulenbeauftragten haben, konstatieren die homosexuellen Selbsthelfer vor allem im Osten der Hauptstadt noch eine arge Trägheit der Behörden. Zögerliches Eingreifen bei nächtlichen Übergriffen im Park und Zeugenprotokolle auf Butterbrotpapier belegen nach Finkes Einschätzung, daß viele Beamte „die Sache nicht ernst nehmen“. Jürgen Petzold (AFP)
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