: Spazierengehen bei voller Fahrt
■ Von U-Bahn-Waggons ohne trennende Türen sind Passagiere angetan / Gefühl von größerer Sicherheit in der "U-Bahn 2000" / Viele hoffen auf weniger Drängelei
Ein neuentwickelter Doppeltriebwagen der U-Bahn, bei dem Fahrgäste wie im ICE während der Fahrt ungehindert von einem Wagen zum anderen durchlaufen können, findet bei Passagieren Anklang. Das ergab eine kleine Umfrage auf der U-Bahn-Linie 7 zwischen Rathaus Spandau und Rudow. Dort wird der bislang einzige Prototyp einer neuen Fahrzeuggeneration, der „U-Bahn 2000“, seit dem 6. August von der BVG erprobt. Die angesprochenen Fahrgäste begrüßten fast ausnahmslos die Möglichkeit, jederzeit problemlos in den Nachbarwagen zu wechseln – speziell in den Fällen, wo sie aggressiv angemacht oder gar körperlich bedroht werden. Viele sahen es auch als vorteilhaft an, daß sie durch den breiten Wagenübergang ohne die sonst übliche Drängelei an den Türen zu noch freien Sitz- oder Stehplätzen gelangen. [Und mit dem Fahrrad? Aufs Dach oder was? d. säzzer]
Besonders ältere Fahrgäste erhoffen sich in den getesteten Wagen besseren Schutz vor kriminellen Gestalten. Die 68jährige Rentnerin Wilma Haß aus Spandau: „Das mit dem Übergang würde vielleicht manchem mehr Sicherheit geben, gerade wenn der Zug nicht so voll ist.“ „Sehr praktisch“, urteilt ebenso die Britzer Rentnerin Edith Schmidt (72). „Ich wäre dafür, alle neuen U-Bahn-Wagen so zu gestalten.“ Obschon er selbst bisher nicht in einer brenzligen Situation gewesen ist, sah auch ein Schüler der Kreuzberger Leibniz- Oberschule, der 17jährige Güvelc Özkan, einen Gewinn an Sicherheit, zumindest für Mitschüler: „Wenn vielleicht jemand in Schwierigkeiten gerät, sind die durchgehenden U-Bahn-Wagen günstig.“ Ein Schauspieler findet die U-Bahn der Zukunft gleichfalls „okay“. Jetzt müsse er nicht mehr vor dem Einstieg von einem überfüllten Wagen zum nächsten spurten. Nur für eine junge Frau haben Wagendurchgänge in der U-Bahn „etwas Ungemütliches“. Ihr Verdikt: „Die alten Wagen sind gemütlicher.“ Längst nicht alle BVG- Kunden mögen halt nach der Devise des verstorbenen österreichischen Aphoristikers Karl Kraus leben: „Gemütlich bin ich selbst.“
Wie berichtet, hat die BVG bereits 115 neue U-Bahn-Großprofilzüge der Baureihe H bei der „ABB Henschel Waggon Union“ bestellt, welche vom ersten bis zum letzten der jeweils sechs Wagen durchgehend begehbar sein werden. Die neuen Fahrzeuge der „U-Bahn 2000“, die laut der BVG durch eine bessere Überschaubarkeit und die dann mögliche schnelle Präsenz von Sicherheitspersonal und Zugbegleiter zu einer Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Fahrgäste führen sollen, werden nach den Plänen ab 1995 bis zum Jahr 2003 ausgeliefert. Demgegenüber sind die ab Dezember 1993 von der Industrie auszuliefernden neuen Züge für die Kleinprofillinien weitestgehend mit der letzten Serie (A3L82) identisch. Tiefgreifende konstruktive Änderungen seien aufgrund der terminlichen Zwänge bei der Durchbindung der U-Bahn-Linie U 2A nicht möglich gewesen, teilte Verkehrssenator Haase auf eine parlamentarische Anfrage mit.
Nach den Worten des zuständigen BVG-Abteilungsleiters Kurt Beier sind ehemalige Kulissenbauer der DEFA momentan dabei, in den Babelsberger Studios ein Modell der neuen Großprofilwaggons im Maßstab 1:1 zu zimmern. Beier: „Im Augenblick wird gerade die Innenraumgestaltung der neuen Züge geklärt. Sie muß attraktiver werden als bei den alten Zügen. Von der ganzen Farb- und Formgebung her erfolgt ein Generationsschnitt.“
Wenigstens die Konstruktion der Übergänge des neuen Fahrzeugstyps war wegen der engen Kurven im U-Bahn-Netz alles andere als einfach. „Vor allem in S- Kurven führen die beiden Waggons des Doppeltriebwagens ein Eigenleben, versetzen auf den Gleisen gegeneinander um bis zu 30 Zentimeter“, schildert der für die Fahrzeugbeschaffung zuständige BVG-Abteilungsleiter die Schwierigkeiten. Ein einfacher Faltenbalg wie beim Bus reichte auch zur Geräuschabsorption nicht aus. Es mußte eine neue innere Verkleidung der Übergänge entwickelt werden, um den Lärm zu dämpfen und ebene Gehflächen zu bekommen. Im Ergebnis sei es rein subjektiv im Übergangsbereich leiser als woanders in dem Premierenzug, heißt es zufrieden bei der BVG. Thomas Knauf
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