piwik no script img

Kino zum Anfassen

■ Ein Rundgang durch das neue Düsseldorfer Filmmuseum, das am Wochenende seine Pforten öffnet

Nicht einmal hundert Jahre ist das Medium Film jetzt alt, und schon eröffnet in Düsseldorf nach Frankfurt und Potsdam bereits Deutschlands drittes Filmmuseum. Wie will man einen Film ausstellen? Ist nicht jedes Kino ein Museum? Filmtechnik könnte man sich vorstellen; ein Filmmuseum als Ausstellungsort jeder Menge verstaubter Kameras und Projektoren. Doch das Kinomuseum, das am Samstag in Düsseldorf eröffnen wird, hat weit mehr zu bieten.

Der Leiter des neuen Museums, Hartmut W. Redottée, hat die Exponate in drei Abteilungen untergebracht: Filmtechnik, Filmästhetik und Filmgeschichte. Chronologisch hätte man der Verschlungenheit der Filmgeschichte wohl auch kaum Herr werden können. Redottée hat sie nach Themen geordnet. Jeder Raum hat einen Namen, und stellt einen „special effect“ vor. Man setzt auf „Erlebnisräume“ statt pädagogisch gelenkte Betrachtung. Immer wieder wird der Besucher zu handgreiflicher Beteiligung animiert. Ein apart- spartanisch kahles Treppenhaus, das mehr der Feuerwehrnorm F 90 als dem Film gerecht wird, führt in das Pantheon der Filmgeschichte.

Hier muß der Besucher 44 auf Stelzen plazierten Regisseuren huldigen, deren Stars an die Decke projiziert sind. Erst dann eröffnet sich ihm der kostbare Fundus, den das Düsseldorfer Filminstitut in den letzten 15 Jahren auf Auktionen und Flohmärkten zusammengetragen hat. In dieser ersten von drei Etagen stehen Ausstellungsobjekte im Vordergrund. Zahlreiche Requisiten und Kostüme aus bekannten Filmen, Merchandisingartikel von Chaplin bis Disney und Filmpreise aller Art dokumentieren den Kult ums Kino. Ein nachgebautes Wanderkino lädt zum Kinobesuch à la 1905 ein, während eine Postkartensammlung ein knappes Jahrhundert Kinoarchitektur widerspiegelt. Eine kleine Treppe führt dann weiter in „Platons Höhle“, die in jeder Abhandlung, die etwas auf sich hält, als Gleichnis für das Kino bemüht wird. Automatisch erinnert man sich an Lotte Reinigers Scherenschnittfilme. Ihre Silhouetten, ihr Arbeitsplatz und all ihr sonstiges Werkzeug wartet hier, komplett und funktionsbereit. Überhaupt ist diese zweite von drei Etagen die interessanteste. Im „Palast der Illusionen“ veranschaulicht ein Diorama die Bedeutung des Lichts. Durch Umschalten von Auflicht auf Rücklicht lassen sich morgendliche und abendliche Stimmungen erzeugen.

„Ein Film wird nicht gedreht, sondern aus den einzelnen Szenen gebaut.“ Dieser These Griffiths folgend kann Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ nach Lust und Laune neu montiert werden. Die gleichen Bilder können viele Geschichten erzählen. Daß es aber auch ohne Montage geht, hat Hitchcock eindrucksvoll in „Cocktail für eine Leiche“ bewiesen. Hier sind Filmzeit und Realzeit identisch, kein einziger Schnitt greift ein. Und noch einmal mit Hitchcock, an kleinen Rädern drehend, lernt man den Effekt eines Zooms und einer Kamerafahrt unterscheiden, um sie anschließend beide gleichzeitig in Hitchcocks kurioser Glockenturmszene aus „Vertigo“ anwenden zu können.

Ein Hauch von Hollywood erfaßt uns unterm Dach. Ein riesiges Marylin-Monroe-Plakat hängt an der Wand, eine Dolly auf Schienen, Windmaschinen und Beleuchtungsgerät vermitteln einen Eindruck, wie es bei Dreharbeiten zugehen mag. Hier kann man auch wieder selbst aktiv werden. Alles liegt bereit zur Produktion eines „Handmade Films“, anschaulich wird das Blue Screen-Verfahren erklärt, und in einem kleinen Projektionsraum lassen sich Filmszenen wie in einer Musikbox via Bildplattenspieler abrufen. Ob jedoch Bogart tatsächlich auf Knopfdruck seiner Kleinen in die Augen schauen darf, ist noch nicht sicher, da dem bisher noch erhebliche urheberrechtliche Probleme entgegenstehen. Film nicht nur sehen, sondern erleben, ist das Fazit dieses Rundgangs. Kein Museum, wo allerlei Kuriositäten hinter Glas zu besichtigen sind, sondern ein Museum zum Anfassen, zum Mitmachen. Spielend lernen ist das Motto, das Redottée und sein Team hier eindrucksvoll umgesetzt haben. Ihnen ist es gelungen, alle Facetten des Films wie in einem Kaleidoskop sichtbar zu machen. Ein gelungenes Konzept, das den Rundgang zu einem kleinen Erlebnis werden läßt. Neben einem Extraraum für Sonderausstellungen hat man im Parterre auch ein neues Museumskino, die Black Box, erhalten, die immerhin etwa 130 Zuschauern Platz und Möglichkeit bietet, das soeben Erlernte im Kino wiedererleben zu können.

Als Abendmuseum ist es von 14 bis 20 Uhr geöffnet, woran sich der Betrieb des Kinos anschließt. Angesichts der Tatsache, daß der Film 1995 hundert Jahre alt wird, haben die Düsseldorfer diesem Jubiläum schon jetzt eine Ehrung erwiesen, die längst überfällig erscheint. Tagtäglich lassen wir uns oft stundenlang von den Bildmedien berieseln; da sollte man sich schon einmal die Zeit nehmen, um verstehen zu lernen, wie dieses Medium funktioniert, mit welchen Tricks es arbeitet und welche Geschichte es hat. In Düsseldorf ist dies in der Zeit eines Spielfilms möglich. Danach sieht man vielleicht nicht die Welt, aber sicherlich den nächsten Film mit anderen Augen. Anne Wotschke, Kalle Somnitz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen