piwik no script img

Ungehobene Schätze

■ Schlumper als Künstler anerkannt / Ausstellung mit Fest am Schlump eröffnet

„Das ist der Gartensaal vom Lustschloß“, sagt Karl-Ulrich Iden, selbsternannter Botschafter der Schlumper und stellt sich in ein mehr als mannshohes Gebilde aus Pappmach'ee „... mit Musikgrotte!“. Auch ohne solch animierende Führung sind, dem großen blauen Pfeil folgend, von strahlenden Sonnensternen im Keller bis zum blau-weiß-roten „Eifelturm“ auf dem Dachbalkon des Hauses seltsame Räume, überraschende Dinge und faszinierende Kunst zu entdecken. Die Künstlergruppe um den Hamburger Maler Rolf Laute nutzte das vor einer grundlegenden Renovierung leerstehende Wohnheim III am Schlump für ihre Arbeit.

Gemeinsam mit Nicht-Behinderten wurden im Frühjahr einige Räume komplett ausgemalt, jetzt wird das ganze Gebäude für eine große Ausstellung der Bilder und Plastiken der Schlumper genutzt. Was da aus der ungeheuren Menge an Material seit Gründung der Gruppe 1984 ausgewählt und unter sanfter, aber beharrlicher Lenkung von Rolf Laute geschickt präsentiert wird, gleicht einem Museum ungehobener Schätze, das Vergleiche mit dem professionellen Kunstmarkt von Dada bis zur „Wilden Malerei“ nicht zu scheuen braucht.

Horst Wässles raumfüllende Installation mit Schuhen hätte in der diesjährigen Post-Human Ausstellung der Deichtorhalle nicht gestört. Erfahrungen eines langen Anstaltslebens und ein eigenwillig interpretiertes Christentum setzt Werner Voigt in schwarzgrundige Bilder voll erklärender Schrift um. Wie Votivgaben um einen Altar geordnet oder einzeln wie große Moritatentafeln künden kleine weiße Comicfiguren von Demütigungen und Hoffnungen. Ihre eigene Welt mit einem Bett voller bemalter Kissen, Puppen und herbeigezeichnetem Alltag baut Klara Zwick.

Solcher Modellbildung steht auf der anderen Seite des Ausdrucksspektrums Ringa Spingies gegenüber mit ganz abstrakten, dunkel schraffierten Chiffren mit verlorenen grünen oder braunroten Farbakzenten. Kiymet Benita Bock aus Kurdistan, seit zweieinhalb Jahren rollstuhlgebundene Kollegin der Schlumper, ruft zur Traumrevolution auf. Die Tagträume von „Kindern, Geistig Behinderten, Psychopathen und Nichteuropäern“ sind für sie wahre Spur zu den Wurzeln des Seins, in denen Gott und Tier zum Mensch und Mensch und Tier zum Gott werden. Am auffallendsten und eigenständigsten sind die Bilder von Uwe Bender. Scheinbar mühelos beherrscht er kleine Zeichnungen wie den „Doppelgenscher“, zwei grinsende Köpfe mit großen Ohren oder vier Meter breite Riesengemälde auf denen sich schwarze Vögel und phantastische Flugzeuge oder Fußballspieler des HSV tummeln.

Nach neun Jahren erfolgt nun auch die staatliche Anerkennung. In einer Vereinbarung zwischen dem Verein der Freunde der Schlumper und der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales werden neun Gruppenmitglieder als Berufskünstler anerkannt, was ihnen die Kunstproduktion unter den Bedingungen eines sonst üblichen Behinderten-Arbeitsplatzes ermöglicht. Pikant dabei ist die strikte Gewinnorientierung dieser Betriebsvereinbarung in Hinsicht auf die „wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung auf dem Kunstmarkt“ - ein Problem, mit dem alle, auch anderweitig nicht behinderte, hochschulgeprüfte Künstler größte Schwierigkeiten haben.

Doch solche Abgrenzungen sind für die ästhetische Rezeption nicht entscheidend. Uwe M.Schneede, Direktor der Hamburger Kunsthalle, fand sich gestern bereit, die Ausstellung zu eröffnen, nicht um Begriffsabgrenzung von traditionell definierter „Kunst der Geisteskranken“ zur Kunst des „Wahren, Guten und Schönen“ zu leisten, sondern aus Respekt vor der immensen schöpferischen Kraft, die hier aufscheint. Die Frage, ob Schlumper-Werk — oder in diesem Zusammenhang immer gern zitierte Beuyssche Fettecken — „Kunst“ seien oder etwa nicht, ist für ihn ein unnützer, bürokratischer Definitionszwang, der nur den eigenen Blick verbaut und das Erstaunen über frappierende fremde Welten verhindert. Und das kann nicht oft genug gesagt werden.

Hajo Schiff

Die Verkaufsausstellung ist geöffnet bis zum 27. 8., Samstag und Sonntag 12-18 Uhr, Montag bis Freitag 17-20 Uhr, Beim Schlump 84

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen