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Die Fischerchöre in der Aktentasche

■ Eine neue „Subkultur der Hausmusik“: Homerecording aus Bremer Wohn- und Jugendzimmern

Ist das noch die Hausmusik, wie wir sie kennen? So ganz ohne Blockflöte, Wanderklampfe und Vaters verstimmtes Pianola? Stattdessen mit einem kleinen, schwarzen Kästchen als einzigem Begleiter, das auf Knopfdruck Fanfarenklänge oder die Fischerchöre abspult? Eine Art „Subkultur der Hausmusik“ jedenfalls hat sich entwickelt, seit vor etwa zwölf Jahren erschwingliche Multitrack-Recorder auf den deutschen Markt kamen. Schon hat das Phänomen einen Namen: „Homerecording“, die Kunst, ganz allein eine komplette Band (oder was auch immer) zu simulieren. Musik als Puzzlespiel, und als einsamer Job: „Die meisten dieser Leute sind Einzelkämpfer“, sagt Experte Gerald Dellmann vom Kölner Musik-Media-Verlag. Er gehört zu den Organisatoren des zweiten, landesweiten Homerecording-Wettbewerbs. Und einsam oder nicht: Die Zahl der Heimarbeiter, so rechnet's Dellmann vor, wächst beständig.

Über 2500 Bänder mußten sich die Juroren des ersten Wettbewerbs vor zwei Jahren um die Ohren schlagen. Mit der „Verfügbarkeit von elektronischen Musikinstrumenten“, sagt Dellmann, habe sich die Amateurszene rasch verändert.

Aber erst der Multitracker, natürlich japanischen Ursprungs, habe unsere Vorstellung von Hausmusik grundlegend umgekrempelt. Was zunächst nur als eine Art „musikalischer Notizblock“ (so wirbt die Fa. Tascam) gedacht war, wurde rasch als eine Art Heimstudio im Aktentaschenformat entdeckt. „Viele Leute wollen damit nur ihre Ideen festhalten und zuhause rumbasteln, aber andere sind inzwischen so ausgerüstet, daß ihre Cassette am Ende wie eine fertige Plattenproduktion klingt“, sagt Michael Heyn, Bremer Musiker und Sachwalter der expandierenden Homerecording-Abteilung beim Musikladen Hoins.

Über die kleinen Mulitracker kann Heyn nur noch milde lächeln. nennt er doch selbst ein computergestütztes Arsenal an Synthesizern, Samplern und Sequenzern sein eigen. Damit hat er praktisch „endlos viele Spuren zur Verfügung“, kann nach Belieben schräge Sounds von CDs borgen und mit eigenen Rhythmen unterlegen. Unmögliche Arrangements lassen sich da zusammensetzen, an denen eine hausbackene Combo wahrscheinlich verzweifeln müßte: „Ich kann mit viel mehr Händen spielen, als eine Band zur Verfügung hat“, sagt Heyn. Das Menschenunmögliche wird da schließlich hörbar, was aber wie immer schon seine Kehrseite hat: Gerade die computergestützte Hausmusik, sagt Gerald Dellmann, „klingt oft schon überexakt korrigiert“.

Diesen Vorwurf kann sich Niels Hesse kaum zu eigen machen. Unbeeidruckt von der Aufrüstung der Unterhaltungselektronik treibt er in seiner Osterholzer Jugendbude Homerecording im grundlegendsten Sinne: mit zwei Recordern, einem Mischpult und dem großen Weltschmerz im Bauch, der einfach rausmuß. Abgenervt von den Egotrips herkömmlicher Band-Musiker entschloß er sich, lieber alles selbst zu machen, bestenfalls druch Sangesbruder Rene unterstützt. Das Rudimentär-Equipment ist Stilprinzip: Wo keine teure Technik waltet, da klingt es eben nicht mehr glockenhell, sondern matschig, pampig, eklig. Und so singt Niels in sein kleines Mikrofon, einen abgebrochenen und umfunktionierten Billigst-Kopfhörer: „Ich werde aufgesaugt von diesem höllischen Schlund/ Ich treibe im Nichts und erfahr nie den Grund“ usw.

Unter wechselnden Pseudonymen (zuletzt: „Astronauten des Wahnsinns“) wandert sowas dann in die Halböffentlichkeit. Ganz allein mit ihren Bandmaschinchen wollen die Hausmusiker eben doch nicht bleiben. In Fünfer- bis 20er-Auflage lassen viele Homerecorder ihre Werke schnellkopieren; neben Freunden und Verwandten werden auch kleinere Tonträgerläden damit ausgestattet. „Um rauszukriegen, ob's noch andere Leute gibt, die so verrückt sind wie wir“, sagt Niels. So landen seine und vieler anderer Heimarbeiter Tapes dann z.B. beim warmherzigen Michael Bultmann und seinem „Überschall„-Laden, in bunte Pappen gewickelt und mit freundlichen Hinweisen ausgestattet: „Den beschissenen Sound bitten wir zu entschuldigen.“ Soundfragen aber stellen sicher das geringste Problem der Homerecorder dar. „Sowas kann man regeln“, sagt Michael Heyn in Anbetracht der fortgeschrittenen Technik, „aber die Kreativität wird dadurch nicht ersetzt.“ Thomas Wolff

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