„Ausländerbelastetes Revier“

In der „multikriminellen“ Subkultur aus Dealern, Schutzgelderpressern und Hütchenspielern finden Polizisten ihre Vorurteile bestätigt  ■ Von Franco Foraci

Kurz vor Mitternacht im „Tivoli“. Auf einer großen blauen Scheibe, die sich unaufhörlich um die eigene Achse dreht, räkelt sich eine Asiatin, macht Verrenkungen, die fast zirkustauglich sind. Ihr Gesichtsausdruck und ihre eindeutigen Gesten sollen den drum herum an einem Tresen stehenden Gaffern absolute Erotik, totale Verfügbarkeit und grenzenlosen Sex signalisieren. Wer genauer hinschaut, sieht eher das Gegenteil. Die hier buchstäblich schwitzen müssen, können wenig Spaß daran empfinden, von den Eintritt zahlenden – durchweg bäuchigen – Voyeuren angestarrt zu werden. Im Hintergrund dröhnt in Discolautstärke Lionel Richies Liebes- und Spießerschnulze „Hello, is it me you're looking for?“ Gespielt wird das Lied mindestens zehnmal am Tag – bis zur Sperrstunde. Beim kassierenden „DJ“ mit der klebrig-lechzenden Zuhälterstimme am Eingang besonders beliebt sind auch Madonna-, Eros-Ramazzotti- und Stevie- Wonder-Titel. Gleich nebenan verspricht ein großer Pfeil aus roten und weißen Glühbirnen wie im Lichterzauber des Spielerparadieses Las Vegas „Sex-Vision“ in über vierzig Videokabinen. Real gevögelt wird dann in den unzähligen Etagenpuffs der Kaiser- und Moselstraße, wo fast ausschließlich Südamerikanerinnen und Asiatinnen für die männliche Entladung sorgen. Kein Puffbesucher, der nicht wenigstens einen Brocken Spanisch drauf hat – und wenn's nur der Huren-Lockruf „Mi amor!“ ist.

Die Polizeibeamten in Zivil vom Frankfurter Bahnhofsviertel, die hier Nacht für Nacht vorbeischauen – dienstlich, versteht sich –, beeindrucken die „bezaubernden Darbietungen“ (Tivoli-Discjockey) der Tamaras, Marias und Kai-lis schon lange nicht mehr. Wenn sie die Runde machen, dann um den Überblick über das Rotlichtmilieu und seine kriminellen Trittbrettfahrer zu behalten. Wer baut neue Kontakte auf? Welche Geschäfte könnten in den Schmodderlokalen demnächst verabredet werden? Wo hält sich XY gerade auf? Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Daß dieser „Überblick“ nur der sein kann, der sich ihnen an der Oberfläche bietet, wissen sie genau.

Polizeihauptmeister Karl Fauerbach erfährt in der Szene mehr, als er letztendlich für Anzeigen und gerichtliche Termine beweiskräftig weiterleiten kann. Schließlich ist die Omertà, das Gesetz des Schweigens, im Frankfurter Bahnhofsviertel weit verbreitet. Zeugenaussagen sind nach wilden Schießereien im letzten Jahr immer seltener. Das auch durch auffallend milde Gerichtsurteile auftrumpfende organisierte Verbrechen ist hier beherrschend. Dieser Stadtteil ist mit 83 Prozent Ausländeranteil der mit der höchsten Ausländerquote: Ex-Jugoslawen und Albaner, Chinesen und Italiener leben hier.

„Jeder – vom Würstchenbudenbesitzer zum Clubbetreiber – zahlt hier Schutzgeld, aber keiner wagt es, die Erpresser anzuzeigen“, sagt Fauerbach auf dem Weg zu einem griechischen Glücksspielertreff im Hinterhof von „Eddies Pilsstube“ in der Moselstraße. Er meldet sich mit einem internen Codewort: „Jusuf“. Oben im zweiten Stock angekommen, sitzen nur ein paar Alte, die fernschauen. Im Nebenzimmer ist ein Billardtisch, der mit ein paar Handgriffen und einem selbstgebauten Aufsatz zur Würfelbahn umfunktioniert werden kann. Von den Spielern aber ist keine Spur. Wieder hat die Kommunikation unter den Ausländern bestens geklappt, die Räume wurden rechtzeitig geleert. Fauerbach zuckt mit den Schultern, holt hinter einem braunen Vorhang den selbstgebauten Aufsatz aus Holzpaneelen und läßt ihn vor seinen Augen zerstören.

Die einzige Macht, die dem Beamten bleibe, seien Platzverweise für Hütchenspieler und Asylbewerber, die sich nicht an ihre ortsgebundenen Aufenthaltserlaubnisse hielten. Die meisten arbeiteten als Dealer. „Warum sonst wohl sind sie nachts um drei im Bahnhof unterwegs? Viele von denen kassieren mehrfach Sozialhilfe und verdienen sich hier eine goldene Nase“, ergänzt ein anderer Kollege. Ist ein Platzverweis ausgesprochen und wird der nicht befolgt, dann blüht dem Betroffenen eine „Zwangsnacht“ in einer der acht Zellen im noch wie vor 30 Jahren ausgestatteten vierten Polizeirevier.

Um dem Eindruck von Rassismus vorzubeugen, betont Fauerbach: „Wir kennen den Unterschied schon zwischen einem Straftäter und einem anständigen Schaffer mit allen Genehmigungen. Ich gehe zum Griechen essen, zum Jugoslawen, mit Ausländern habe ich keine Probleme.“ Daß Kollegen zum rechten Lager tendierten, könne er trotzdem verstehen: „Wir sind ein ausländerstarküberlastetes Revier. Wenn man sieht, ein ausländischer Straftäter wird verhaftet, am anderen Tag steht er wieder herum, er wird wieder verhaftet und kommt wieder frei, dann fragt man sich langsam: Was tut eigentlich unser Staat? Der zieht sich ja Straftäter groß. Das sollte unterbunden werden. Für die Ausweisung müßten kleinere Vergehen ausreichen. Dann würde manch ein Ausländer sich vorsehen.“

Es ist vier Uhr morgens. Auf der Wache ist nicht mehr viel los. Die Bilanz der Nacht im Polizeirevier Frankfurts mit dem größten Personalaufwand und gleichzeitig dem kleinsten Einzugsgebiet ist relativ bescheiden. Auch Kriminelle machen Urlaub, im August. Wieder waren die Beschuldigten nur Ausländer.

Hessen startet Ende des Monats ein Projekt mit ausländischen Polizisten als Angestellte ohne hoheitliche Befugnisse. Einer von ihnen wird wahrscheinlich im Polizeirevier vier abgestellt.

Dienstgruppenleiter Bernd Lindenborn sieht ihre Einsatzmöglichkeiten jedoch eher skeptisch. „Wer sagt mir, daß ich mit einem farbigen Kollegen unterwegs nicht mehr Schwierigkeiten habe?“ Das Ganze müsse noch intensiv ausgelotet werden. Ein anderer Polizeibeamter, der sich eine halbe Stunde vor Dienstschluß um sieben an der Debatte über den Sinn von ausländischen Kollegen beteiligt, ist sich dagegen sicher: „Ausländische Polizisten halte ich nicht für sinnvoll. Die Kollegen würden zwar die Sprache der Leute mitbringen, mit denen wir es ständig zu tun haben (Marokkaner, Türken, Ex-Jugoslawen). Die können sich vielleicht auch viel besser in deren Kulturkreise hineinversetzen. Aber wir haben auch keine Probleme mit deren Kulturkreisen, im großen und ganzen.

Wir haben Probleme mit deren Kriminalität, die sie hier ausleben. Die sprachliche Barriere gibt es, aber das ist doch deren Problem.“