: Traditionsfirma vor dem baldigen Aus?
■ Telefonhersteller „Bosse Telekomsysteme“ in Kreuzberg will 150 Mitarbeiter entlassen / Konkurs oder Vergleich droht
Das als Kreuzberger Mischung apostrophierte Modell von Arbeiten und Wohnen im Bezirk gerät immer mehr in Gefahr. Während der Telefonhersteller DeTeWe vor kurzem einen Bereich seiner Fertigung nach Brandenburg verlagert hat, geht es beim Konkurrenten „Bosse Telekomsysteme GmbH“ mittlerweile ans Eingemachte.
Bis März nächsten Jahres sollen 150 von derzeit 416 Beschäftigten entlassen werden. Dies bestätigte jetzt der Betriebsrat des Unternehmens. Ein Sozialplan wurde bereits vor einigen Wochen von Geschäftsleitung und Betriebsrat verabschiedet. Allerdings hat sich das Unternehmen in den Aufhebungsverträgen mit den Entlassenen eine Rücktrittsklausel für den Fall gesichert, daß auch dieser Personalabbau nicht zur Rettung ausreichen sollte. Eine Entscheidung über die weitere Zukunft des Unternehmens habe sich die Geschäftsführung bis zum 10. September vorbehalten, so der Betriebsratsvorsitzende Fredy Stahnke. Bis dahin sei die Gefahr eines Vergleichs oder gar eines Konkurses „noch nicht vom Tisch“, so der 44jährige.
Das Unternehmen, das seit 105 Jahren im Kiez beheimatet ist und mehrheitlich zum Besitz der Familie Boelke gehört, ist offenbar in Liquiditätsschwierigkeiten, seitdem die Telekom als Hauptgeschäftspartner weniger abnimmt als noch in den Jahren zuvor. Produziert werden in dem Werk in der Reichenberger Straße hauptsächlich Telefonreihenanlagen. Nach Angaben des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Detlef Koch wird in diesem Jahr nach vorsichtigen Schätzungen mit einem Umsatz von 65 Millionen Mark gerechnet. Das seien rund 20 Millionen Mark weniger als ursprünglich veranschlagt. Ein Teil der Belegschaft ist bereits seit März auf Kurzarbeit – ein entsprechender Antrag auf Verlängerung bis zum Februar 1994 wurde inzwischen vom Landesarbeitsamt genehmigt.
Eine der Ursachen für die Krise sieht der Betriebsrat in der mangelhaften Vorbereitung auf den privaten Telefonmarkt. Obwohl seit Ende der achtziger Jahre die Umstrukturierungen bei der Deutschen Bundespost bekannt gewesen seien, kämen noch immer 90 Prozent der Aufträge von der Telekom, moniert Stahnke die Politik der Geschäftsführung. Bereits vor drei Jahren mußte das Kreuzberger Unternehmen 130 Mitarbeiter entlassen. Auch damals seien Stornierungen durch die Post für die Krise verantwortlich gewesen. Trotz der schwierigen Lage glaubt der Bosse-Betriebsrat nach wie vor an eine Rettung. Eine Möglichkeit sei, mit EDV-Programmen für Ökobilanzen sich eine „neue Startposition“ zu erarbeiten, meint Stahnke. Ein diesbezügliches Projekt stehe kurz vor Abschluß.
Keine Hoffnung gibt es mittlerweile für ein weiteres alteingesessenes Berliner Unternehmen. Der traditionsreiche Fotosatzhersteller H. Berthold AG aus Steglitz muß nach eigenen Angaben nun Konkurs anmelden. Wie die Geschäftsleitung am Wochenende bekanntgab, konnte man in Verhandlungen mit Banken keine Einigung über die zeitliche Abwicklung eines bereits ausgehandelten Teilerlasses von Krediten erzielen. 400 Arbeitsplätze, darunter 291 in Berlin, gehen damit verloren. Seit Monaten hatten die Beschäftigten schon kein reguläres Einkommen mehr erhalten. Severin Weiland
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