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Estlands Presse zu verkaufen

■ Wohl nur die Hälfte der Zeitungen wird die Privatisierung überleben

Tallinn (taz) – Zeitung gefällig oder kommerzielle Rundfunkstation? Estland privatisiert. Möbelfabrik, Textilfirma, Tankstelle – und eben auch Zeitung. Gerade zum Verkauf steht die größte der Vormittagszeitungen des Landes, Rahva Hääl (Stimme des Volkes). Ein lohnendes Geschäft allerdings nur für denjenigen Investor, der einen langen Atem hat und bereit ist, möglicherweise noch jahrelange Verluste in Kauf zu nehmen. Denn Rahva Hääl, der es noch relativ gut geht, steckt wie die nahezu gesamte estnische Presse in den roten Zahlen.

Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt hier es viel zu viele Tageszeitungen, Wochen- und Monatsmagazine. Allein in der Hauptstadt Tallinn existieren für die etwa 430.000 EinwohnerInnen acht verschiedene Tageszeitungen. Fünf in estnischer, drei in russischer Sprache. Nach der Selbständigkeit in großer Anzahl aus dem Medienboden gewachsen oder aus Sowjetzeiten herübergewendet, trocknet die marktwirtschaftliche Realität die meisten jetzt aus. Holten sich die EstInnen noch vor einem Jahr täglich ein dickes Bündel der verschiedenen Blätter am Kiosk, ist das Lesepensum nunmehr auf meist eine Zeitung geschrumpft.

Was damals fast gratis zu haben war – der Staat als hauptsächlicher Eigentümer subventionierte noch kräftig mit –, belastet jetzt deutlich den Geldbeutel. Die Produktion ist teurer, der Kampf um einen möglichst großen Anteil am Reklamekuchen immer existentieller geworden. Und da haben derzeit nicht die Druckmedien die Nase vorn, sondern die reklamefinanzierten Rundfunksender.

Auflagenabstürze auf gerade noch ein Viertel der letztjährigen Verkaufszahlen sind keine Ausnahme in der gebeutelten Pressebranche. Manche Zeitung ist eigentlich schon seit Monaten bankrott und überlebt nur, weil das Personal faktisch umsonst arbeitet. BranchenkennerInnen schätzen, daß allenfalls die Hälfte der Titel überleben wird.

Rahva Hääl gehört sicher zu den überlebensfähigeren und für die Zukunft der estnischen Presse zentralen Blätter. Das Tauziehen um ihre Zukunft ist deshalb von medienpolitischer Bedeutung für die junge Demokratie. Gerne kaufen möchten die BlattmacherInnen ihre eigene Zeitung. Eine medienpolitisch nur auf den ersten Blick erstrebenswerte Lösung: Bei Rahva Hääl – und nicht nur dort – sitzen nach Meinung der Regierung und auch vieler unabhängiger BeobachterInnen die meisten der entscheidenden Leute aus der Sowjetzeit oberflächlich gewendet hinter den Schreibtischen. Was auch anders kaum möglich ist: Noch Jahre wird es dauern, bis JournalistInnen, die unter den Jahren der Selbständigkeit ihren Beruf erlernt haben, die Redaktionsarbeit entscheidender werden bestimmen können.

Der alternative Interessent für den Rahva Hääl-Kauf ist aber noch weitaus fragwürdiger: eine Personengruppe, hinter der die regierende Vaterlandspartei steht. Und das dritte Angbot kommt von dem Spekulanten, dessen Neugründung in einem wirtschaftlichen Fiasko zu enden droht: die neugestartete Hommikuleht (Morgenblatt) warb anderen Zeitungen erst mit dreifachen Löhnen mehr als dreißig JournalistInnen ab und konnte trotz monatelanger Werbekampagne gerade 2.500 AbonnentInnen gewinnen. Entweder Hommikuleht oder Rahva Hääl dürften eingestellt werden, sobald sich beide Blätter in der Hand des gleichen Eigentümers befinden.

Die estnische Privatisierungsbehörde versucht nun noch zusätzlich ausländische InteressentInnen zu finden – ein unter den Zeitungsleuten erst recht nicht gern gesehener Ausweg, obwohl ausländisches Kapital und Know-how bislang zumindest für diejenigen Zeitungen steht, die in Estland schwarze Zahlen schreiben: das Nachrichtenmagazin Eesti Express und die Äripäev (Wirtschaftstag), der estnische Ableger des schwedischen Wirtschaftsmagazins Dagens Industri. Reinhard Wolff

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