: Ein ziemlich vergnügter Schächer
■ Vladimir Nabokov überließ nichts dem Zufall. Seine Zusammenstellung von 22 Interviews präsentiert sorgsam kontrollierte Elaborate und kalkulierte Plaudereien
Keine Frage, daß manche literarischen Interviews ein ziemlicher Graus sind – nichtssagende Wortwechsel zwischen einem weisen Salomo und seinem Stichwortgeber. Dies ist nicht einmal die Captatio benevolentiae meiner Rezension, sondern eine Bemerkung des Meisters höchstselbst, der sich darüber wunderte, daß „ein unprätentiöser und bescheidener Mensch“ wie er den Selbstdarstellungszirkus mitmachte. Mit geradezu exzessiver Lust nahm er viele Gelegenheiten wahr, vor den Augen seines Publikums „den Anschein einer plausiblen und nicht total unleidlichen Persönlichkeit“ aufzubauen; und sehr schätzte er jene Spielart des Interviews, die da anhebt mit „Guten Morgen. Darf ich Ihnen rund vierzig Fragen stellen“, deren erste er mit einem jovialen „Guten Morgen. Ich bin bereit“ replizierte.
Doch nichts trügt hier mehr als der kunstvoll inszenierte Anschein der Spontaneität. Die Interviews, die Vladimir Nabokov gab, sind keine auf hohem Niveau locker dahingeplauderten Ping-Pong-Dialoge über V.N., Gott und die Welt. Der Ablauf war vielmehr dieser: Der Interviewer hatte seine Fragen schriftlich einzureichen; bei seinem Eintreffen im Palace Hotel in Montreux fand er an der Rezeption einen Umschlag vor mit den bis auf jedes Semikolon schriftlich fixierten Antworten, die er zur Kenntnis zu nehmen hatte, bevor er dem Schriftsteller face to face gegenübertrat. Was dann noch verhandelt wurde, hatte mit dem eigentlichen Interview nicht viel zu tun. Nabokov hielt sich selbst für einen miserablen Redner, und er schätzte es nicht sonderlich, sich in irgendeiner Form bloßzustellen. Daher die erwähnten Vorsichtsmaßnahmen, und Mißtrauen gegenüber Journalisten ist schon immer eine nützliche Basis guter Publicity gewesen.
Der Leser der 22 Interviews, die V.N. selbst für sein Buch „Strong Opinions“ (New York 1973) zusammengestellt hatte, ist also nicht auf zufällige Geistesblitze des berühmten Autors angewiesen – die Interviews sind sorgsam kontrollierte Elaborate wie alle anderen von V.N. veröffentlichten Texte auch (der Band enthält außerdem Leserbriefe, kleine Aufsätze und lepidopterologische Schriften). Keine Drei-Wort-Sätze, sondern liebevoll verschlungene Satzgirlanden. Keine Statements, sondern wohlüberlegte, mit Pointen angereicherte Werturteile und auf Hochglanz gebrachte Verbalinjurien. Für die Publikation galt als unumstößliche Faustregel: Keine Auslassungen, keine Ergänzungen, keine Druckfehler!
V.N. also sah sich selber als amerikanischen Schriftsteller, der in Rußland aufgewachsen ist, in England studiert hat, mit der Kultur Westeuropas durchtränkt ist und seinen Lebensabend am idyllischen Genfer See verbringt (wo er 1977 starb). Der vorliegende Band bietet den Steckbrief der Vorlieben und Abneigungen des Meisters, schillernd zwischen Schlichtheit und Exklusivität. Seine Lieblingskost: Eier mit Speck, Bier; seine bevorzugten Haßobjekte: Nachtclubs, Yachten, Zirkusse, Pornoshows, die seelenvollen Augen nackter Männer mit jeder Menge Guevara-Haar an allen möglichen Körperstellen. Was er an der Schweiz besonders schätzte: „Vorzügliche Post. Keine lästigen Demonstrationen, keine sekkanten Streiks. Alpine Schmetterlinge. Phänomenale Sonnenuntergänge...“ Seine liebste Beschäftigung außer dem Romaneschreiben war ja bekanntlich die Schmetterlingsjagd.
Nach seinem eigenen literarischen Standort gefragt, antwortete V.N. prägnant: „Fabelhafte Aussicht von hier oben.“ Nein, an Selbstbewußtsein hat es ihm nie
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gefehlt, und vielleicht war es ja der heimliche Wunsch, es könne unter Umständen ansteckend wirken, der die Beschäftigung mit seinen gesammelten Ansichten über schreibende Kollegen und andere Zeitgenossen antrieb. Dabei verfügt V.N. über ein hohes Maß an Souveränität auch seinen eigenen Werken gegenüber. Angenehm ist es zu sehen, wie gelassen er Abstufungen der Wertschätzung seiner Arbeiten gegenübersteht: „Lolita“ ist ja in der Tat ein Ausnahmewerk – einer der wunderbarsten, vergnüglichsten Romane dieses Jahrhunderts – , und es juckt den Autor wenig, wenn man „Lolita“ ein Podest baut, das sie über den Rest des ×uvres sichtbar hinaushebt. (Auf die Meinung von Rezensenten hat V.N. angeblich wenig gegeben, aber gesammelt hat er sie doch.)
Sein politisches Credo erschöpft sich in dem Bekenntnis „Was schlecht ist für die Roten, muß gut sein für mich“; er nennt das einen „altmodischen Liberalismus unbestimmter Couleur“, und angesichts dessen ist man dankbar dafür, daß er sich als Romancier konsequent geweigert hat, „den gesellschaftskritischen Rummel“ mitzumachen. Jeder „Anhauch von Kollektivgeist an einem Roman“ ist ihm zuwider – eben dieser Abneigung verdanken wir Individuen wie Humbert Humbert mit seiner unverzeihlichen Nymphchenlust.
Auch Nabokovs ästhetisches Grundbekenntnis (dieses Wort hätte er natürlich sofort gestrichen!) ist nicht viel komplizierter. Verhaßt sind ihm „Freudsche Symbolik, mottenzerfressene Mythologie, gesellschaftskritisches Gedöns, humanistische Heilsbotschaften, politische Parabeln, das exzessive Herumharfen auf dem Thema Klasse oder Rasse und die allbekannten journalistischen Verblasenheiten“. Auf dem gesund dampfenden Mist dieser Idiosynkrasien blühen so nachfühlbare Verdammungsurteile wie das über Thomas im allgemeinen und den „Tod in Venedig“ im besonderen, freilich auch einige bizarre Fehlurteile, über die wir an dieser Stelle nicht im einzelnen richten mögen. Dem literarischen „Who's who“ des Meisters – und seinem ästhetisch-politischen Wertekanon überhaupt – haftet eine gewisse Patina an (indessen veraltet nichts schneller, wie er so schön sagt, „als der modische Chichi radikaler Jugendlichkeit“), aber man findet auch allerorten eine schelmische Lust an der Provokation. Angesprochen auf eine Bemerkung des Kritikers George Steiner, der V.N. in ein Triptychon der Genies neben Beckett und Borges zwängt, antwortet V.N., angesichts der religiösen Inbrunst, mit der man heutzutage auf jene beiden blicke, käme er sich vor wie ein Schächer zwischen zwei Christussen. Allerdings wie ein ziemlich vergnügter Schächer. Martin Krumbholz
Vladimir Nabokov: „Deutliche Worte. Interviews – Leserbriefe – Aufsätze“. Deutsch von Kurt Neff, Gabriele Forber-Schneider, Blanche Schwappach und Dieter E. Zimmer (Gesammelte Werke, hg. v. Dieter E. Zimmer, Band XX), Rowohlt Verlag, 570 Seiten, geb., 54 DM
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