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Lauter lästige Sahnehäubchen

Gagenorgien und Spartaumel: Wie süddeutsche Theater auf Sparzwänge reagieren  ■ Von Jürgen Berger

„Man muß in der Zentrale mit dem Sparen beginnen, denn nur dann kann man mit Autorität in anderen Bereichen des Theaters eingreifen“, erklärt Hans Tränkle, und daß von den neun Mitarbeitern der ehemaligen Stuttgarter Generalintendanz zwei übriggeblieben seien – seine Sekretärin und er. Seit der Demission seines Generalintendanten (zur Erinnerung, er hieß Gönnenwein) führt Tränkle alleinverantwortlich die Geschäfte des Stuttgarter Staatstheaters und schafft es allem Anschein nach, den größten Dreispartentanker Deutschlands allmählich betriebswirtschaftlich auf Kurs zu bringen. In Stuttgart ist man etwas weiter als anderswo, weil das Theater durch Gönnenweins Mißwirtschaft etwas früher von jener Spardiskussion heimgesucht wurde, die derzeit Deutschlands Intendanten erzittern läßt.

Eine Front beginnt zu wanken, selbst die härtesten Sachwalter des Status quo gestehen inzwischen ein, daß man sparen kann – zwar nur hinter vorgehaltener Hand und mit dem Hinweis, man argumentiere aus strategischen Gründen immer noch so, als würde mit jeder Sparmark schon der künstlerische Betrieb zusammenbrechen, aber es bewegt sich was, und allmählich schält sich auch heraus, um was es im Zentrum der Spardiskussion tatsächlich geht. Ganz nebenbei wird nämlich eine Frage in Angriff genommen, deren Beantwortung viele Theaterleiter lieber auf den Tag nach ihrer Pensionierung verschoben hätten: Die Frage nach notwendigen Strukturreformen, die in den letzten Jahren eher rhetorisch gestellt wurde.

Hans Tränkle ist ein Praktiker mit Blick auf den Baden-Württembergischen Landtag, wo ein Teil der von ihm verwalteten Gelder herkommt. Er meint, eine moderne Theaterverwaltung müsse die Abläufe und Ausgaben im künstlerischen Bereich so kontrollieren, wie das in vergleichbaren mittelständischen Unternehmen der freien Wirtschaft schon lange der Fall sei. In diesem Zusammenhang kommt auch aus seinem Mund das Zauberwort „Autonomie“. Er ist nicht der einzige, der davon spricht, egal wohin man kommt, von Basel bis Frankfurt und von Mannheim bis Stuttgart geht es derzeit um eine größere finanzielle Eigenständigkeit der Theaterapparate. Und die, so ist allenthalben zu hören, sei auch ohne die vielbeschworene Umwandlung der Betriebe in eine GmbH möglich.

Lothar Mark etwa, Kulturbürgermeister in Mannheim, meint, Theaterleiter müßten eigenverantwortlich mit ihrem Budget umgehen können, ohne jede Mark gegenüber dem Finanzbürgermeister abrechnen zu müssen. „Viele Probleme des Mannheimer Nationaltheaters entstehen, weil Personal- und Sachkostentopf nebeneinander existieren und innerhalb des Theaters nicht eigenständig entschieden werden kann, ob man zum Beispiel eine Stelle nicht besetzt, um damit eine Ausgabe im Sachkostenbereich zu ermöglichen, und umgekehrt.“ Tränkle in Stuttgart hat das inzwischen um den Preis komplizierter betriebswirtschaftlicher Umrechnungsverfahren ermöglicht. Nach außen existieren noch die beiden großen Budgetbereiche, im Innern allerdings kann er Gelder umschichten und zu jedem Zeitpunkt sagen, ob einzelne Etatposten überzogen werden.

Eine Lösung der Theaterapparate aus dem starren System kommunaler Ämter liegt in der Luft, denn im Moment sehen sowohl Kommunalpolitiker als auch Theaterleiter neue marktwirtschaftliche Horizonte. Die Frage jedoch ist, wie weit das vorangetrieben wird und was man sich davon verspricht. Von seiten der Kommunen ist wohl beabsichtigt, den Theatern ein um einige Millionen abgespecktes Budget zur Verfügung zu stellen und sich ansonsten für nichts mehr verantwortlich zu fühlen (was im Trend der allmählichen Verabschiedung der Kommunen aus ihrer Kulturverantwortung liegt). Und die Intendanten? Für sie dürfte wichtig sein, endlich das kommunale Gängelband abstreifen zu können, und manch einer träumt wohl insgeheim schon von Zeiten, in denen er noch ungehemmter seinen Napoleonkomplex ausleben kann.

Was dabei von beiden Seiten geflissentlich übersehen wird: Wenn es so kommt, sitzt den Theatern künftig nicht mehr der Finanzbürgermeister, sondern die Rentabilitätskeule im Genick. Dann kann es sehr schnell zu Darmstädter Zuständen kommen, wo man mit riesigem Werbeaufwand Alexis Weissenbergs Musicalflop „Nostalgie“ auf die Staatstheaterbühne gehievt hatte, während in einem ehemaligen Staßenbahndepot „Quadrophenia“ (Rock-Musical nach The Who) vor halbleeren Rängen der Sommerpause entgegen dämmert.

Kurz & Co. können das besser, sind aber trotzdem vor Pleiten nicht sicher. Darmstadt und Saarbrücken (dort hat man tatsächlich „Jesus Christ Superstar“ ausgegraben) stehen denn auch weniger für den Aufbruch zu neuen Märkten, sondern eher für einen Mißstand, den Frank Baumbauer auf den Punkt bringt. „Das Theater als sich überbietendes System von Einzelanbietern in der Unterhaltungsbranche ist schon längst überhitzter als die vielgeschmähten privaten Musicalpaläste“, meint der Basler Intendant, der dort fünf Jahre lang für aufregendes Theater gesorgt hat und gerade ans Hamburger Schauspielhaus wechselt – zu früh, wie er eingesteht, da erst jetzt in Basel die vielbeschworene Kontinuität enstehe, die das Theater so notwendig brauche.

Mit Überhitzung meint er nicht nur die immer schnelleren Wechsel ganzer Leitungsteams, sondern auch eine Überhitzung in den Köpfen mancher Theaterkünstler. Er zählt zu denjenigen, die für Obergrenzenvereinbarungen zwischen den Intendanten eintreten, damit den zum Teil überzogenen Gagenforderungen künstlerischer Zugpferde die Spitze genommen wird – eine Vereinbarung gegen die wohl auch Linda Reisch nichts einzuwenden haben dürfte, obwohl sie gerade mit ihrem Ballettdirektor, William Forsythe, einen Vertrag abschloß, der selbst die Hartgesottenen in der Branche aufhorchen ließ. Von 260.000 DM Jahresgage ist da die Rede, einem ominösen Inflationsausgleich, plus den obligatorischen Extragagen für Eigenchoreographien und einer Freistellung für Paris, damit Forsythe auch dort choreographieren und kassieren kann.

Nun ist er tatsächlich einer der künstlerischen Aktivposten im theaterkrisengeschüttelten Frankfurt, daß Linda Reisch jedoch inmitten vehementer Spardiskussionen solch einen Vertrag abschließt, offenbart einiges vom zentralen Dilemma des Kulturgeschäftes: Sie ist auf Forsythe als Aushängeschild angewiesen – Forsythe inzwischen außer auf Geld auf niemanden mehr – und kann mit dem Argument Bedingungen stellen, daß jede andere Stadt ihn mit Kußhand nehmen würde. Das oft gehörte Argument zugunsten solcher Gagenorgien, Künstler müßten in der Zeit Kasse machen, in der sie gerade oben stehen, gilt inzwischen scheinbar auch für Choreographen. Obwohl die, haben sie sich erst einmal durchgesetzt, in der Regel bis ins hohe Alter ihren Marktwert erhöhen.

Und dabei sollte Linda Reisch im laufenden Kulturhaushalt mal eben 60 Millionen einsparen, und im kommenden zusätzlich 50 Millionen. Machbar ist so etwas nicht, und für Linda Reisch sind derartige Sparphantasien denn auch nicht das Produkt der gegenwärtigen Finanznot. „Ich muß der SPD und den Grünen den Vorwurf machen, daß bei ihnen inzwischen eine ressentimentgeladene Atmosphäre gegen Kultur herrscht. Kultur scheint für sie nur noch ein lästiges Sahnehäubchen zu sein und nicht mehr selbstverständlicher Bestandteil einer lebendigen Stadt.“

Daß Kommunalpolitiker sich überhaupt derart in Sparuntiefen verlieren und daß jüngst aus den Reihen der Frankfurter Grünen gar der Vorschlag kam, das Theater am Turm (tat) in ein Kinder- und Jugendtheater umzuwandeln, gehört zu den schwärzesten Kapiteln der gegenwärtigen Diskussion. Denn gefragt sind praktikable Sparkonzepte, keine Kahlschlagsszenarien, wie Tom Stromberg meint, der künstlerische Leiter des tat. „Wir bekommen es ohne Frage hin, zu sparen. Nur, wenn darüber verhandelt wird, müssen Fachleute am Tisch sitzen und nicht Stadträte, die wichtigeres zu tun haben sollten, als sich in Dinge einzumischen, von denen sie nichts verstehen.“

Ähnliches dürfte auch für Ulm gelten, denn dort ist Intendant Bernd Wilms vor kurzem aus Protest gegen die Streichung von 15 Stellen zurückgetreten. Mag sein, daß sein spektakulärer Schritt auch damit zu tun hat, daß er mit der Stadt nicht zurechtkam, trotzdem ist sein Rücktritt ein Paradebeispiel dafür, was herauskommt, wenn Kommunalpolitiker Scheibchen für Scheibchen wegschneiden und am Ende überrascht tun, wenn nichts mehr von der Wurst da ist. In Ulm können die Stellen nur gestrichen werden, indem man zum Beispiel das gerade mal elfköpfige Tanzensemble auflöst – notwendig ist das inzwischen allerdings nicht mehr, da auch der Leiter des Tanztheaters gekündigt hat. Joachim Schlömer heißt er und ist einer der derzeit profiliertesten jungen Choreographen.

Der Tod des Ulmer Tanztheaters ist einer der eigentlichen Skandale in den Wirren des bundesrepublikanischen Spartaumels, ein weiteres Beispiel ist die „probebühne2“ des Koblenzer Theaters. Auf ihr hat Thirza Bruncken inszeniert, und zwar ausschließlich junge zeitgenössische Dramatik. Die Regisseurin geht zum Ende der Spielzeit, ihre Stelle wird nicht mehr besetzt, so daß es die probebühne2 in dieser Form nicht mehr geben wird. Thirza Brunckens Kommentar: „Man spart dort, wo man meint, es vertuschen zu können. Nicht vertuschen wird man allerdings Qualitätsverluste können, da man mit wesentlich weniger Geld schlichtweg nicht die gleiche Qualität in den Theatern bieten kann.“

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