: Rostig prangt der rote Stern
■ Die rote Armee verlässt ihre Kasernen rings um Berlin: Müll, Schrott, Ruinen und gestürzte Idole sind die Hinterlassenschaften eines zerfallenen Imperiums
Der letzte macht das Licht aus. Wenn selbiges noch funktionierte. Denn alles, was nicht niet- und nagelfest war, machte sich mit den Soldaten der ehemaligen Sowjet-Armee in Richtung Osten auf den Weg nach Hause. Darunter Glühbirnen, Waschbecken, Steckdosen, Kloschüsseln. Der Verfall kennzeichnet die bereits geräumten Liegenschaften der GUS-Truppen. Nach mehr als 45 Jahren dürfen Zivilisten auf die ehemaligen Kasernengelände bei Jüterbog, Potsdam oder nördlich der Döberitzer Heide. Die Gebäude sind in einem desolaten Zustand. Zerstörtes Mauerwerk ragt in den Himmel, die Fensterscheiben sind eingeschlagen, der Putz bröckelt, die Dachfirste sind angeschlagen. In einem Wohnhaus für Offiziere, nahe dem ehemaligen Olympischen Dorf von 1936 ist das Treppenhaus eingestürzt.
Es herrscht eine morbide Atmosphäre, die ehemaligen Kasernengelände sind menschenleer und entseelt, bis auf ein paar neugierige Besucher, die endlich das in Augenschein nehmen wollen, was ihnen Jahrzehnte lang vorenthalten worden war. Seit der Räumung der Gelände scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Denn man trifft noch an jeder Ecke auf die letzten Spuren der Russen und es schleicht sich das Gefühl ein, plötzlich einem russichen Offizier in braun-grüner Uniform über den Weg zu laufen. Auf dem Wasser eines Schwimmbades auf dem Kasernengelände Jüterbog treibt ein Rettungsring. Ein rostiger roter Stern prangt an einem eisernen Tor zur ehemaligen Übungshalle des olympischen Dorfes von 1936, das ebenfalls von der sowjetischen Armee genutzt worden war. Ein Übungsraum des Dorfes war mit Zielscheiben- Tapeten verkleidet. In einem anderen Saal sind in verblassenden Farben die olympischen Ringe an die Wand gemalt; daneben sind in russischer Sprache die Worte „besser-höher-stärker“ zu lesen. Auch in dem im Halbrund angelegten Wohntrakt befindet sich noch ein typisches Relikt aus der Sowjetzeit.
In den Aufgängen der Wohnhäuser, deuten nur noch alte Namenslisten darauf hin, daß hier mal Soldaten mit ihren Familien lebten. Die Briefkästen fehlen, Gras überwuchert die Wege zu den Hauseingängen. Nicht weit vom olympischen Dorf hatten die Russen Kioske gebaut. Die Fußböden in den Verkaufsräumen sind mit Scherben übersät. Dazwischen liegt das „Cafe otdych“ (Ruhe), ausgelegt mit einer PVC-Parkett-Imitation. Auf den Schrottplätzen schockiert die Achtlosigkeit, mit der die Soldaten der ehemaligen Sowjet-Armee ihren Panzermüll und alte Lastwagen in der Natur ablagerten. Wie zum Hohn prangt auf einem der Laster: „Ogneopasno“ - feuergefährlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen